URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
8. Juli 1999 (1)
„Rechtsmittel Verfahrensordnung des Gerichts Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung Geschäftsordnung der Kommission Verfahren für
den Erlaß einer Entscheidung des Kommissionskollegiums Begriffe der
Vereinbarung und der abgestimmten Verhaltensweise Beweisrecht
Unschuldsvermutung Geldbuße“
In der Rechtssache C-199/92 P
Hüls AG, Marl (Bundesrepublik Deutschland), Prozeßbevollmächtigter: zunächst
Rechtsanwalt H.-J. Herrmann, Köln, dann Rechtsanwalt F. Montag, Köln,
Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Loesch & Wolter, 8, rue Zithe,
Luxemburg,
unterstützt durch
DSM NV, Heerlen (Niederlande), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt
I. G. F. Cath, Den Haag, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts
L. Dupong, 14 A, rue des Bains, Luxemburg,
Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,
betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der
Europäischen Gemeinschaften (Erste Kammer) vom 10. März 1992 in der
Rechtssache T-9/89 (Hüls/Commission, Slg. 1992, II-499) wegen Aufhebung dieses
Urteils,
anderer Verfahrensbeteiligter:
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater
G. zur Hausen und B. Jansen, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Beklagte in der ersten Instanz,
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn sowie der Richter
G. Hirsch, G. F. Mancini (Berichterstatter), J. L. Murray und H. Ragnemalm,
Generalanwalt: G. Cosmas
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler, und D. Louterman-Hubeau,
Hauptverwaltungsrätin
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Beteiligten in der Sitzung vom 12. März 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli
1997,
folgendes
Urteil
- 1.
- Die Hüls AG hat mit Rechtsmittelschrift, die am 14. Mai 1992 bei der Kanzlei des
Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes
ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 10. März 1992
in der Rechtssache T-9/89 (Hüls/Kommission, Slg. 1992, II-499; im folgenden:
angefochtenes Urteil) eingelegt.
Sachverhalt und Verfahren vor dem Gericht
- 2.
- Dem Rechtsmittel liegt folgender Sachverhalt, wie er sich aus dem angefochtenen
Urteil ergibt, zugrunde.
- 3.
- Mehrere in der europäischen Petrochemieindustrie tätige Unternehmen erhoben
beim Gericht Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung 86/398/EWG der
Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des
EWG-Vertrags (IV/31.149 Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1; nachstehend:
Polypropylen-Entscheidung).
- 4.
- Gemäß den insoweit durch das Gericht bestätigten Feststellungen der Kommission
wurde der Polypropylenmarkt vor 1977 von zehn Herstellern beliefert, von denen
vier (Montedison SpA, Hoechst AG, Imperial Chemical Industries plc [im
folgenden: ICI] und Shell International Chemical Company Ltd [im folgenden:
Shell]) zusammen 64 % des Marktes innehatten. Nach dem Auslaufen der
Hauptpatente von der Montedison SpA traten 1977 auf dem Markt neue Hersteller
auf, was zu einem erheblichen Anwachsen der realen Produktionskapazität führte,
ohne daß es dadurch zu einem entsprechenden Anstieg der Nachfrage kam. Dies
hatte einen zwischen 1977 bei 60 % und 1983 bei 90 % liegenden Auslastungsgrad
der Produktionskapazitäten zur Folge. Jeder der damals in der Gemeinschaft
niedergelassenen Hersteller verkaufte in die meisten, wenn nicht in alle
Mitgliedstaaten.
- 5.
- Die Rechtsmittelführerin gehörte zu den Herstellern, die 1977 den Markt
belieferten. Sie hatte am westeuropäischen Markt einen Anteil etwa zwischen 4,5 %
und 6,5 %.
- 6.
- Im Anschluß an gleichzeitig in mehreren Unternehmen des Wirtschaftszweigs
durchgeführte Nachprüfungen richtete die Kommission an mehrere
Polypropylenhersteller Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17
des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln
85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204). Aus Randnummer 6 des
angefochtenen Urteils geht hervor, daß die Kommission anhand des im Rahmen
dieser Nachprüfungen und Auskunftsverlangen entdeckten Beweismaterials zu der
vorläufigen Auffassung gelangte, die Hersteller hätten von 1977 bis 1983 unter
Verstoß gegen Artikel 81 EG (früher Artikel 85) durch Preisinitiativen regelmäßig
Zielpreise festgesetzt und ein System jährlicher Mengenkontrolle entwickelt, um
den verfügbaren Markt nach vereinbarten Prozentsätzen oder Mengen unter sich
aufzuteilen. Die Kommission leitete deshalb ein Verfahren gemäß Artikel 3 Absatz
1 der Verordnung Nr. 17 ein und übermittelte mehreren Unternehmen, darunter
der Rechtsmittelführerin, die schriftliche Mitteilung der Beschwerdepunkte.
- 7.
- Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Polypropylen-Entscheidung,
mit der sie feststellte, daß die Rechtsmittelführerin gegen Artikel 81 Absatz 1 EG
verstoßen habe, indem sie zusammen mit anderen Unternehmen von einem
Zeitpunkt zwischen 1977 und 1979 bis mindestens November 1983 an einer von
Mitte 1977 stammenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt
gewesen sei, durch die die Gemeinschaft mit Polypropylen beliefernden Hersteller
miteinander Verbindung gehabt und sich regelmäßig (von Anfang 1981 an
zweimal monatlich) in einer Reihe geheimer Sitzungen getroffen hätten, um
ihre Geschäftspolitik zu erörtern und festzulegen;
von Zeit zu Zeit für den Absatz ihrer Erzeugnisse in jedem Mitgliedstaat
der EWG Ziel- (oder Mindest-)Preise festgelegt hätten;
verschiedene Maßnahmen getroffen hätten, um die Durchsetzung dieser
Zielpreise zu erleichtern, (vor allem) u. a. durch vorübergehende
Absatzeinschränkungen, den Austausch von Einzelangaben über ihre
Verkäufe, die Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab Ende 1982 ein System
der „Kundenführerschaft“ zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen
gegenüber Einzelkunden;
gleichzeitige Preiserhöhungen vorgenommen hätten, um die besagten Ziele
durchzusetzen;
den Markt aufgeteilt hätten, indem jedem Hersteller ein jährliches
Absatzziel bzw. eine Quote (1979, 1980 und zumindest für einen Teil des
Jahres 1983) zugeteilt worden sei oder, falls es zu keiner endgültigen
Vereinbarung für das ganze Jahr gekommen sei, die Hersteller aufgefordert
worden seien, ihre monatlichen Verkäufe unter Bezugnahme auf einen
vorausgegangenen Zeitraum (1981, 1982) einzuschränken (Artikel 1 der
Polypropylen-Entscheidung).
- 8.
- Sodann verpflichtete die Kommission die verschiedenen betroffenen Unternehmen,
die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzüglich abzustellen und in Zukunft von
allen Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die
dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen. Ferner
erlegte ihnen die Kommission auf, jedes Verfahren zum Austausch von
Informationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen, abzustellen
und dafür Sorge zu tragen, daß Verfahren zum Austausch allgemeiner
Informationen (wie das Fides-System) unter Ausschluß sämtlicher Informationen
geführt werden, aus denen sich das Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten
läßt (Artikel 2 der Polypropylen-Entscheidung).
- 9.
- Gegen die Rechtsmittelführerin wurde eine Geldbuße von 2 750 000 ECU bzw.
5 898 447, 50 DM festgesetzt (Artikel 3 der Polypropylen-Entscheidung).
- 10.
- Am 2. August 1986 hat die Rechtsmittelführerin beim Gerichtshof Klage auf
Nichtigerklärung dieser Entscheidung erhoben. Mit Beschluß vom 15. November
1989 hat der Gerichtshof die Rechtssache gemäß dem Beschluß 88/591/EGKS,
EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts
erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) an das Gericht
verwiesen.
- 11.
- Die Rechtsmittelführerin hat beim Gericht beantragt, die
Polypropylen-Entscheidung für nichtig zu erklären, hilfsweise die gegen sie
festgesetzte Geldbuße herabzusetzen, und der Kommission auf jeden Fall die
Kosten aufzuerlegen.
- 12.
- Die Kommission hat beantragt, die Klage abzuweisen und der Rechtsmittelführerin
die Kosten aufzuerlegen.
- 13.
- Mit gesondertem Schriftsatz, der am 4. März 1992 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, hat die Rechtsmittelführerin beim Gericht beantragt, wegen der
Erklärungen, die die Kommission in der Sitzung des Gerichts in den Rechtssachen
T-79/89, T-84/89 bis T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89,
T-102/89 und T-104/89 (BASF u. a./Kommission, Urteil vom 27. Februar 1992,
Slg. 1992, II-315; im folgenden: PVC-Urteil des Gerichts) abgegeben hat, gemäß
den Artikeln 62 und 64 bis 66 seiner Geschäftsordnung die mündliche Verhandlung
wiederzueröffnen und prozeßleitende Maßnahmen zu treffen.
Das angefochtene Urteil
A. Zur Feststellung der Zuwiderhandlung Tatsachenfeststellungen
Das System der regelmäßigen Sitzungen
- 14.
- Zu dem System der regelmäßigen Sitzungen in der Zeit von 1977 bis Ende 1978
oder Anfang 1979 hat das Gericht zunächst in Randnummer 96 festgestellt, daß das
einzige Beweismittel, das die Kommission zum Nachweis der Teilnahme der
Rechtsmittelführerin an diesen Sitzungen im fraglichen Zeitraum vorgelegt habe,
die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen sei. In Randnummer 97 hat das
Gericht festgestellt, diese Antwort beziehe sich, soweit in ihr die
Rechtsmittelführerin zu den regelmäßigen Sitzungsteilnehmern gezählt werde,
ausdrücklich auf deren Teilnahme an den „Chef“- und „Experten“-Sitzungen, ohne
daß dort jedoch gesagt werde, ab wann. Aufgrund der Antwort von ICI auf das
Auskunftsverlangen hat das Gericht in Randnummer 99 festgestellt, daß diese
Sitzungen Ende 1978 oder Anfang 1979 begonnen hätten und daß sich die Passagen
der Antwort von ICI, die die Kommission anführe, um die Teilnahme der
Rechtsmittelführerin an den Sitzungen schon im Dezember 1977 darzutun, nicht
auf diese Sitzungen, sondern auf Ad-hoc-Sitzungen bezögen. Das Gericht hat
daraus in Randnummer 102 abgeleitet, daß die Kommission nichts vorlegen könne,
was geeignet wäre, die Teilnahme der Rechtsmittelführerin an der
Zuwiderhandlung vor Ende 1978 oder Anfang 1979 zu beweisen, und daß ihr der
Beweis für eine solche Beteiligung deshalb rechtlich nicht gelungen sei.
- 15.
- Bezüglich der Zeit von Ende 1978 oder Anfang 1979 bis November 1983 hat das
Gericht in Randnummer 114 festgestellt, daß die Rechtsmittelführerin in der
Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen im Unterschied zu zwei anderen
Herstellern ohne zeitliche Einschränkung zu den regelmäßigen Teilnehmern an den
„Chef“- und „Experten“-Sitzungen gezählt werde. Das Gericht hat diese Antwort
dahin ausgelegt, daß die Rechtsmittelführerin an diesen Sitzungen seit dem Beginn
des Systems der „Chef“- und „Experten“-Sitzungen teilgenommen habe, das Ende
1978 oder Anfang 1979 eingeführt worden sei. Das Gericht hat in Randnummer
115 ausgeführt, die genannte Antwort von ICI werde dadurch bestätigt, daß in
verschiedenen bei ICI, Atochem SA und SA Hercules Chemicals NV gefundenen
Tabellen neben dem Namen der Rechtsmittelführerin deren Verkaufszahlen
aufgeführt seien und daß es nicht möglich gewesen wäre, diese Tabellen auf der
Grundlage der Statistiken des Fides-Systems zu erstellen. In ihrer Antwort auf das
Auskunftsverlangen habe ICI im übrigen zu einer dieser Tabellen erklärt: „Die
Quelle für die in dieser Tabelle genannten tatsächlich erzielten Zahlen müssen die
Hersteller selbst gewesen sein.“ Hinzu komme, so das Gericht weiter in
Randnummer 116, daß die Antwort der Rechtsmittelführerin auf das
Auskunftsverlangen insoweit unvollständig sei, als die Rechtsmittelführerin dort ihre
in einem Bericht verzeichnete Teilnahme an einer Sitzung im Jahr 1981 nicht
erwähnt habe. Ferner hat das Gericht in Randnummer 117 festgestellt, die
Rechtsmittelführerin habe vor ihm eingeräumt, daß sie in den Jahren 1982 und
1983 regelmäßig an den Sitzungen teilgenommen habe, während sie in ihrer
Antwort auf das Auskunftsverlangen behauptet habe, vor dem zweiten Halbjahr
1982 nicht an den Sitzungen teilgenommen zu haben.
- 16.
- Daraus hat das Gericht in Randnummer 118 abgeleitet, daß die Kommission zu
Recht davon ausgegangen sei, daß die Rechtsmittelführerin von Ende 1978 oder
Anfang 1979 bis Ende September 1983 regelmäßig an den regelmäßigen Sitzungen
der Polypropylenhersteller teilgenommen habe. In Randnummer 119 hat das
Gericht festgestellt, daß die Kommission auf der Grundlage der Angaben von ICI
in deren Antwort auf das Auskunftsverlangen, die durch zahlreiche Sitzungsberichte
bestätigt worden seien, zu Recht angenommen habe, daß der Zweck der Sitzungen
namentlich die Festsetzung von Preiszielen und von Verkaufsmengenzielen gewesen
sei. Ebenfalls zu Recht habe die Kommission, wie es in Randnummer 121 desangefochtenen Urteils heißt, aus der Antwort von ICI auf die Frage, in welchen
Abständen die „Chef“- und „Experten“-Sitzungen abgehalten worden seien, und
aus der Identität von Art und Zweck der Sitzungen geschlossen, daß diese Teil
eines Systems regelmäßiger Sitzungen gewesen seien.
- 17.
- Weiter hat das Gericht in den Randnummern 122 bis 125 ausgeführt, daß den
Argumenten, mit denen die Rechtsmittelführerin dartun wolle, daß ihre Teilnahme
an den Sitzungen nicht als ein Verhalten anzusehen sei, das geahndet werden
könne, nicht gefolgt werden könne. So verhalte es sich mit dem Vorbringen der
Rechtsmittelführerin, daß sie als kleiner Erzeuger den Sitzungen nicht habe
fernbleiben können, denn sie hätte diese Sitzungen der Kommission anzeigen und
sie ersuchen können, ihnen ein Ende zu machen. Das gleiche gelte für die Strategie
der Rechtsmittelführerin, sich von den Grunderzeugnissen ab- und
Spezialerzeugnissen zuzuwenden, die ihrem Vorbringen zufolge einen
Interessengegensatz zwischen ihr und den anderen Herstellern hervorgerufen habe,
denn die Diskussionen über die Verkaufsmengenziele hätten sich auch auf die
Spezialerzeugnisse bezogen. Zu der Fehlinformation und der Mentalreservation, die
die Rechtsmittelführerin praktiziert haben wolle, sei festzustellen, daß die
Rechtsmittelführerin ihren Wettbewerbern zumindest den Eindruck vermittelt habe,
daß sie mit derselben Einstellung wie diese an den Sitzungen teilgenommen habe.
- 18.
- Daraus hat das Gericht in Randnummer 126 abgeleitet, daß es Sache der
Rechtsmittelführerin sei, Anhaltspunkte dafür anzuführen, daß sie ohne jede
wettbewerbsfeindliche Einstellung an den Sitzungen teilgenommen habe, indem sie
dartue, daß sie ihre Wettbewerber darauf hingewiesen habe, daß sie mit einer
anderen Einstellung als diese an den Sitzungen teilnehme. Die Argumente, die die
Rechtsmittelführerin auf ihr Marktverhalten stütze, böten, so das Gericht in
Randnummer 127, keinen Anhaltspunkt dafür, daß sie nicht aus einer
wettbewerbsfeindlichen Einstellung heraus gehandelt habe. Selbst wenn ihre
Wettbewerber gewußt haben sollten, daß ihr Marktverhalten vom Inhalt der
Sitzungen unabhängig sein würde, zeige doch der bloße Umstand, daß sie mit ihnen
Informationen ausgetauscht habe, die Betriebsgeheimnisse darstellten, daß die
Rechtsmittelführerin wettbewerbsfeindlich eingestellt gewesen sei.
- 19.
- Aufgrund dessen ist das Gericht in Randnummer 129 zu dem Ergebnis gelangt, daß
der Kommission rechtlich der Beweis gelungen sei, daß die Rechtsmittelführerin
regelmäßig an den regelmäßigen Sitzungen der Polypropylenhersteller zwischen
Ende 1978 oder Anfang 1979 und September 1983 teilgenommen habe, daß Zweck
dieser Sitzungen namentlich die Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen
gewesen sei und daß die Sitzungen Teil eines Systems gewesen seien.
Die Preisinitiativen
- 20.
- In Randnummer 167 hat das Gericht festgestellt, daß die Berichte über die
regelmäßigen Sitzungen der Polypropylenhersteller zeigten, daß die
Polypropylenhersteller, die an diesen Sitzungen teilgenommen hätten, dort die in
der Polypropylen-Entscheidung genannten Preisinitiativen vereinbart hätten. Da
bewiesen sei so heißt es in Randnummer 168 , daß die Rechtsmittelführerin an
diesen Sitzungen teilgenommen habe, könne sie nicht behaupten, den dort
beschlossenen, organisierten und kontrollierten Preisinitiativen nicht zugestimmt zu
haben, ohne Anhaltspunkte für die Erhärtung dieser Behauptung vorzutragen. In
Randnummer 170 hat das Gericht ausgeführt, das Vorbringen der
Rechtsmittelführerin, daß sie die Ergebnisse der Sitzungen für die Festlegung ihres
Marktverhaltens im Preisbereich nicht berücksichtigt habe, könne nicht als Indiz für
die Bestätigung der Behauptung gewertet werden, daß sie den vereinbarten
Preisinitiativen nicht zugestimmt habe, sondern zeige allenfalls, daß sie die
Ergebnisse dieser Sitzungen nicht in die Tat umgesetzt habe. Laut Randnummer
171 sahen die Hersteller trotz der beträchtlichen Unterschiede zwischen den
tatsächlich angewandten Preisen und den Zielpreisen die Ergebnisse ihrer
Sitzungen selbst als positiv an.
- 21.
- In Randnummer 172 hat das Gericht festgestellt, daß die Rechtsmittelführerin das
Ergebnis der Sitzungen jedenfalls in höherem Maße umgesetzt habe, als sie
behaupte; dies gelte zumindest für die Zeit nach 1982, für die die Kommission
Preisinstruktionen der Rechtsmittelführerin habe vorlegen können, die den in den
Sitzungen festgelegten Preiszielen und den Instruktionen anderer Hersteller
entsprochen hätten. Zu dem Vorbringen, die Preisinstruktionen der
Rechtsmittelführerin seien rein interner Natur gewesen, hat das Gericht in
Randnummer 173 festgestellt, daß diese Instruktionen zwar insofern interner Natur
gewesen seien, als sie vom Hauptsitz an die Verkaufsabteilungen gerichtet worden
seien, daß sie jedoch erteilt worden seien, um ausgeführt zu werden und somit
Außenwirkungen zu erzeugen. Ebenfalls zu Recht, so das Gericht weiter in
Randnummer 174, habe die Kommission aus der Antwort von ICI auf das
Auskunftsverlangen abgeleitet, daß die Initiativen Teil eines Systems zur
Festsetzung von Preiszielen gewesen seien, das selbst dann fortbestanden habe,
wenn die Diskussionen zwischen den Herstellern nicht zur Festsetzung eines
bestimmten Zieles geführt hätten. In Randnummer 175 hat das Gericht schließlich
ausgeführt, zwar sei die letzte Herstellersitzung, die die Kommission nachgewiesen
habe, die Sitzung vom 29. September 1983 gewesen, jedoch hätten verschiedene
Hersteller zwischen dem 20. September und dem 25. Oktober 1983
übereinstimmende Preisinstruktionen versandt, so daß die Kommission
vernünftigerweise habe davon ausgehen dürfen, daß die Herstellersitzungen ihre
Wirkungen bis zum November 1983 weiter entfaltet hätten.
- 22.
- Aufgrund dessen ist das Gericht in Randnummer 177 zu dem Ergebnis gelangt, daß
der Kommission rechtlich der Beweis gelungen sei, daß die Rechtsmittelführerin zu
den Polypropylenherstellern gehöre, zwischen denen es zu
Willensübereinstimmungen gekommen sei, die auf die in der Polypropylen-Entscheidung genannten Preisinitiativen gerichtet gewesen seien, daß diese
Preisinitiativen Teil eines Systems gewesen seien und daß deren Wirkungen bis zum
November 1983 angehalten hätten.
Die Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen
- 23.
- In Randnummer 189 hat das Gericht ausgeführt, die Polypropylen-Entscheidung sei
so auszulegen, daß dort jedem Hersteller der Vorwurf gemacht werde, in den
Sitzungen zu verschiedenen Zeiten mit den anderen Herstellern einen Komplex von
Maßnahmen vereinbart zu haben, mit denen insbesondere durch die künstliche
Verknappung des Polypropylenangebots günstige Voraussetzungen für eine
Preisanhebung hätten geschaffen werden sollen, wobei die Durchführung
einvernehmlich auf die verschiedenen Hersteller nach Maßgabe ihrer spezifischen
Lage verteilt worden sei. In Randnummer 190 hat das Gericht festgestellt, die
Rechtsmittelführerin habe sich durch die Teilnahme an den Sitzungen, in denen
dieser Komplex von Maßnahmen beschlossen worden sei, an diesen Maßnahmen
beteiligt, da sie nichts zum Beweis des Gegenteils vorgetragen habe.
- 24.
- Zur Kundenführerschaft („account leadership“) hat das Gericht in Randnummer
191 festgestellt, daß die Rechtsmittelführerin an vier Sitzungen teilgenommen habe,
in denen dieses System von Herstellern diskutiert worden sei, und daß sich aus den
Berichten über diese Sitzungen ergebe, daß die Rechtsmittelführerin dort
bestimmte Informationen über ihre Kunden gegeben habe. Laut Randnummer 192
wird die Durchführung dieses Systems durch den Bericht über die Sitzung vom 3.
Mai 1983 und durch die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen belegt. In den
Randnummern 193 bis 196 hat das Gericht ausgeführt, diese Feststellungen würden
durch das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, daß in den Jahren 1982 und 1983
erhebliche Kundenwanderungen stattgefunden hätten, daß ihr Name in einer dem
Bericht über die Sitzung vom 2. Dezember 1982 beigefügten Tabelle in Klammern
genannt sei und daß zwischen dieser Tabelle und derjenigen in der Anlage zum
Bericht über die Sitzung vom 2. September 1982 Unterschiede bestünden, nicht
entkräftet.
- 25.
- Außerdem hat das Gericht in Randnummer 197 festgestellt, die
Rechtsmittelführerin habe in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen zugegeben,
daß sie an lokalen Sitzungen in Dänemark teilgenommen habe, deren durch den
Bericht über die Sitzung vom 2. November 1982 belegter Zweck darin bestanden
habe, die Anwendung der vereinbarten Maßnahmen auf lokaler Ebene
sicherzustellen. Schließlich hat das Gericht in Randnummer 198 ausgeführt, der
Bericht über die Sitzung vom 2. November 1982 in Verbindung mit der Antwort
von ICI auf das Auskunftsverlangen erbringe zweifelsfrei den Beweis, daß
bestimmte Hersteller, darunter die deutschen, Druck auf widerspenstige Hersteller
ausgeübt hätten.
- 26.
- Aufgrund dessen ist das Gericht in Randnummer 199 zu dem Ergebnis gelangt, daß
der Kommission rechtlich der Beweis gelungen sei, daß die Rechtsmittelführerin zu
den Polypropylenherstellern gehöre, zwischen denen es zu
Willensübereinstimmungen über die Maßnahmen gekommen sei, mit denen die
Durchführung der in der Polypropylen-Entscheidung genannten Preisinitiativen
habe gefördert werden sollen.
Absatzziele und Quoten
- 27.
- In Randnummer 231 hat das Gericht zunächst daran erinnert, daß die
Rechtsmittelführerin seit Ende 1978 oder Anfang 1979 regelmäßig an den
regelmäßigen Sitzungen der Polypropylenhersteller teilgenommen habe, in denen
die Verkaufsmengen der verschiedenen Hersteller diskutiert und Informationen
hierüber ausgetauscht worden seien. In Randnummer 232 hat das Gericht
ausgeführt, daß parallel zu dieser Teilnahme der Rechtsmittelführerin an den
Sitzungen ihr Name in verschiedenen bei Polypropylenherstellern aufgefundenen
Tabellen genannt sei, deren Inhalt eindeutig darauf hinweise, daß sie zur
Festlegung von Verkaufsmengenzielen bestimmt gewesen seien. Die Kommission
sei daher zu Recht davon ausgegangen, daß die die Rechtsmittelführerin
betreffenden Angaben in diesen Tabellen, die auf der Grundlage von durch die
Hersteller erteilten Informationen und nicht von Statistiken des Fides-Systems
erstellt worden sein müßten, von der Rechtsmittelführerin selbst im Rahmen der
Sitzungen gemacht worden seien. In Randnummer 233 hat das Gericht festgestellt,
die in den Tabellen für die Jahre 1979 und 1980 benutzte Terminologie lasse den
Schluß zu, daß es zwischen den Herstellern zu Willensübereinstimmungen
gekommen sei.
- 28.
- In den Randnummern 234 und 235 hat das Gericht ausgeführt, das Vorbringen der
Rechtsmittelführerin, daß es für 1979 kein Quotensystem gegeben habe, werde
durch den Bericht über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979 und die bei
ICI sichergestellte Tabelle mit der Bezeichnung „Producers' Sales to West Europe“
widerlegt.
- 29.
- In den Randnummern 236 bis 239 hat das Gericht festgestellt, die Festlegung von
Verkaufsmengenzielen für das gesamte Jahr 1980 gehe aus der bei der Atochem
SA aufgefundenen Tabelle vom 26. Februar 1980 und aus dem Bericht über die
Sitzungen vom Januar 1981 hervor. Der Unterschied zwischen den in diesen beiden
Quellen angegebenen Zahlen rühre daher, daß die Vorausschätzungen der
Hersteller nach unten hätten korrigiert werden müssen. Der Umstand, daß die der
Rechtsmittelführerin zugewiesenen „Ziele“ in verschiedenen Tabellen für die Jahre
1980 und 1981 gleich seien, sei ohne Belang. Der in der Tabelle vom 26. Februar
1980 enthaltene Zusatz „to be rechecked“ stelle das Vorliegen einer
Willensübereinstimmung nicht in Frage, sondern weise lediglich darauf hin, daß zu
diesem Zeitpunkt noch Überprüfungen hätten erfolgen sollen. Außerdem ergebe
sich aus dem Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981, daß die
Rechtsmittelführerin ihre Absatzzahlen für 1980 für einen Vergleich mit den für
1980 festgelegten und angenommenen Verkaufsmengenzielen mitgeteilt habe.
- 30.
- In den Randnummern 240 bis 245 hat das Gericht festgestellt, für 1981 werde den
Herstellern vorgeworfen, an den Verhandlungen teilgenommen zu haben, um zu
einer Quotenvereinbarung für dieses Jahr zu kommen, sowie ihre „Bestrebungen“
mitgeteilt zu haben, übereingekommen zu sein, ihre monatlichen Verkäufe während
der Monate Februar und März 1981 vorübergehend auf ein Zwölftel von 85 % des
für 1980 vereinbarten „Zieles“ zu reduzieren, sich für den Rest des Jahres dieselbe
theoretische Quote wie für das Vorjahr zugewiesen zu haben, jeden Monat in den
Sitzungen ihre Verkäufe bekanntgegeben zu haben und schließlich überprüft zu
haben, ob ihre Verkäufe die zugeteilte theoretische Quote einhielten. Daß die
genannten Verhandlungen stattgefunden hätten und die „Bestrebungen“ mitgeteilt
worden seien, werde durch verschiedene Beweismittel wie Tabellen und einen
internen Vermerk von ICI belegt. Die Annahme vorläufiger Maßnahmen in den
Monaten Februar und März ergebe sich aus dem Bericht über die Sitzungen vom
Januar 1981. Die Tatsache, daß sich die Hersteller für den Rest des Jahres dieselbe
theoretische Quote wie für das Vorjahr zugewiesen und die Einhaltung dieser
Quote durch den monatlichen Austausch ihrer Verkaufszahlen überprüft hätten,
werde durch eine Tabelle vom 20. Dezember 1981, eine bei ICI gefundene nicht
datierte Tabelle mit der Bezeichnung „Scarti per società“ und eine ebenfalls bei
ICI gefundene nicht datierte Tabelle, die im Zusammenhang zu sehen seien,
bewiesen. Die Teilnahme der Rechtsmittelführerin an diesen verschiedenen
Aktivitäten ergebe sich aus ihrer Teilnahme an den Sitzungen, in denen diese
Aktionen stattgefunden hätten, und aus der Erwähnung ihres Namens in den
genannten Schriftstücken.
- 31.
- In den Randnummern 246 bis 249 hat das Gericht festgestellt, für 1982 werde den
Herstellern vorgeworfen, daß sie an den Verhandlungen im Hinblick auf den
Abschluß einer Quotenvereinbarung teilgenommen hätten, daß sie ihre
„Bestrebungen“ im Hinblick auf die Verkaufsmengen mitgeteilt hätten, daß sie in
Ermangelung einer endgültigen Vereinbarung ihre monatlichen Verkaufszahlen für
das erste Halbjahr mitgeteilt und mit dem im Vorjahr erzielten prozentualen Anteil
verglichen hätten und daß sie sich während des zweiten Halbjahres bemüht hätten,
ihre monatlichen Verkäufe auf den prozentualen Anteil des Gesamtmarktes zu
beschränken, den sie in der ersten Hälfte des Jahres erzielt hätten. Daß zwischen
den Herstellern die genannten Verhandlungen stattgefunden hätten und die
„Bestrebungen“ mitgeteilt worden seien, werde durch ein Schriftstück mit der
Bezeichnung „Scheme for discussions .quota system 1982'“, einen Vermerk von
ICI mit der Bezeichnung „Polypropylene 1982, Guidelines“, eine Tabelle vom 17.
Februar 1982 und eine auf italienisch abgefaßte Tabelle, die einen komplexen
Vorschlag darstelle, belegt. Die für das erste Halbjahr getroffenen Maßnahmen
würden durch den Bericht über die Sitzung vom 13. Mai 1982 und die
Durchführung dieser Maßnahmen werde durch die Berichte über die Sitzungen
vom 9. Juni, vom 20. und 21. Juli und vom 20. August 1982 bewiesen. Die
Maßnahmen für das zweite Halbjahr würden durch den Bericht über die Sitzung
vom 6. Oktober 1982 und ihre Aufrechterhaltung werde durch den Bericht über die
Sitzung vom 2. Dezember 1982 bestätigt, ohne daß diese Feststellung durch einen
internen Vermerk von ICI vom Dezember 1982 widerlegt werde.
- 32.
- In der Randnummer 250 hat das Gericht ferner festgestellt, daß die Kommission
für die Jahre 1981 und 1982 aus der Tatsache, daß in den regelmäßigen Sitzungen
eine gegenseitige Überwachung der Durchführung eines Systems zur Begrenzung
der monatlichen Verkäufe im Verhältnis zu einem vorausgegangenen
Bezugszeitraum stattgefunden habe, zu Recht gefolgert habe, daß dieses System
zuvor von den Teilnehmern an den Sitzungen angenommen worden sei.
- 33.
- Für das Jahr 1983 hat das Gericht in den Randnummern 251 bis 256 festgestellt,
aus den von der Kommission vorgelegten Schriftstücken ergebe sich, daß die
Polypropylenhersteller Ende 1982 und Anfang 1983 eine Quotenregelung für das
Jahr 1983 erörtert hätten, daß die Rechtsmittelführerin an den Sitzungen, in denen
die Erörterungen stattgefunden hätten, teilgenommen habe, daß sie bei dieser
Gelegenheit Angaben über ihre Verkäufe gemacht habe, daß in der dem Bericht
über die Sitzung vom 2. Dezember 1982 beigefügten Tabelle 2 das Wort
„acceptable“ neben der beim Namen der Rechtsmittelführerin aufgeführten Quote
stehe und daß die Rechtsmittelführerin demnach an den Verhandlungen zur
Erreichung einer Quotenregelung für 1983 teilgenommen habe. Die Kommission
habe zu Recht aus den im Zusammenhang miteinander gesehenen Berichten über
die Sitzung vom 1. Juni 1983 und über eine interne Sitzung der Shell-Gruppe vom
17. März 1983, die durch zwei andere, den Marktanteil für Shell mit 11 %
beziffernde Schriftstücke bestätigt würden, gefolgert, daß diese Verhandlungen trotz
der anfänglich sehr unterschiedlichen Positionen zur Einführung einer
Quotenregelung geführt hätten.
- 34.
- In den Randnummern 257 bis 260 hat das Gericht ausgeführt, das Vorbringen der
Rechtsmittelführerin zur Veränderung ihres Marktanteils sei unerheblich, da in der
Entscheidung den Herstellern nur die Vereinbarung von Quoten und nicht deren
Einhaltung vorgeworfen werde. Der Vergleich der Verkaufszahlen der
verschiedenen Hersteller mit den ihnen zugewiesenen Verkaufsmengenzielen und
der Umstand, daß sie über ihre Verkäufe während bestimmter Zeiträume berichtet
hätten, zeigten, daß die Quotenregelung entgegen den Behauptungen der
Rechtsmittelführerin sämtliche Polypropylensorten und nicht nur die Grundsorten
erfaßt habe. Zudem sei die Kommission in Anbetracht des Umstands, daß mit den
verschiedenen Maßnahmen zur Begrenzung der Verkaufsmengen dasselbe Ziel
Verringerung des von dem Überangebot ausgehenden Drucks auf die Preise
verfolgt worden sei, zu Recht zu dem Schluß gelangt, daß diese Maßnahmen Teil
eines Quotensystems gewesen seien.
- 35.
- Aufgrund dessen ist das Gericht in Randnummer 261 zu dem Ergebnis gelangt, daß
der Kommission rechtlich der Beweis gelungen sei, daß die Rechtsmittelführerin zu
den Herstellern gehört habe, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über
die in der Polypropylen-Entscheidung genannten Verkaufsmengenziele für die
Jahre 1979 und 1980 und die erste Hälfte des Jahres 1983 und über die dort
genannte Begrenzung ihrer monatlichen Verkäufe für die Jahre 1981 und 1982 im
Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum gekommen sei, die Teil
eines Quotensystems gewesen seien.
Zur Geldbuße
- 36.
- In Randnummer 353 hat das Gericht festgestellt, seine Würdigung der Feststellung
der Zuwiderhandlung habe ergeben, daß die Kommission die Rolle, die die
Rechtsmittelführerin bei der Zuwiderhandlung seit Ende 1978 oder Anfang 1979
gespielt habe, zutreffend festgestellt habe und daß sie daher bei der Berechnung
der gegen die Klägerin zu verhängenden Geldbuße zu Recht von dieser Rolle
ausgegangen sei.
- 37.
- In Randnummer 361 hat das Gericht festgestellt, daß die Kommission bei der
Bemessung der gegen die Rechtsmittelführerin festgesetzten Geldbuße zum einen
die Kriterien für die Bestimmung des allgemeinen Niveaus der gegen die
Adressaten der Polypropylen-Entscheidung verhängten Geldbußen (Randnr. 108
der Entscheidung) und zum anderen die Kriterien für die gerechte Abstufung der
gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbußen (Randnr. 109 der
Entscheidung) festgelegt habe.
- 38.
- Laut Randnummer 381 ergibt sich für das Gericht aus alledem, daß die gegen die
Rechtsmittelführerin verhängte Geldbuße der Schwere des zu Lasten der
Rechtsmittelführerin festgestellten Verstoßes gegen die gemeinschaftlichen
Wettbewerbsregeln angemessen, jedoch wegen der kürzeren Dauer dieser
Zuwiderhandlung herabzusetzen ist.
Zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung
- 39.
- In seiner Entscheidung über den in Randnummer 382 wiedergegebenen Antrag auf
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hat das Gericht in Randnummer
383 festgestellt, daß es ihm nach erneuter Anhörung des Generalanwalts nicht
angezeigt erscheine, gemäß Artikel 62 seiner Verfahrensordnung die
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und, wie von der
Rechtsmittelführerin beantragt, eine Beweisaufnahme anzuordnen.
- 40.
- In Randnummer 384 hat das Gericht ausgeführt:
„Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß das zitierte Urteil vom 27. Februar 1992 als
solches keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren
rechtfertigt. Im übrigen hat die Klägerin abweichend von ihrem Vorbringen in den
PVC-Verfahren (vgl. Randnr. 13 des Urteils des Gerichts vom 27. Februar 1992)
in diesem Verfahren bis zum Ende der mündlichen Verhandlung nicht einmal
andeutungsweise vorgetragen, daß die angefochtene Entscheidung wegen der
behaupteten Mängel inexistent sei. Es fragt sich daher schon, ob die Klägerin
hinreichend dargelegt hat, warum sie die angeblichen Mängel, die ja vor der
Klageerhebung bestanden haben sollen, anders als im PVC-Verfahren nicht eher
in dieses Verfahren eingeführt hat. Selbst wenn der Gemeinschaftsrichter die Frage
der Existenz der angefochtenen Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren des Artikels
173 Absatz 2 EWG-Vertrag [nach Änderung jetzt Artikel 230 Absatz 2 EG] von
Amts wegen zu prüfen hat, bedeutet dies aber nicht, daß in jedem Verfahren nach
Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag von Amts wegen Ermittlungen über eine
eventuelle Inexistenz der angefochtenen Entscheidung zu führen sind. Nur soweit
die Parteien hinreichende Anhaltspunkte für eine Inexistenz der angefochtenen
Entscheidung vortragen, ist das Gericht gehalten, dieser Frage von Amts wegen
nachzugehen. Im vorliegenden Fall ergibt das Vorbringen der Klägerin keine
hinreichenden Anhaltspunkte für eine derartige Inexistenz der Entscheidung: Unter
I. 2 ihres Schriftsatzes hat sich die Klägerin auf einen angeblichen Verstoß gegen
die Sprachenregelung in der Geschäftsordnung der Kommission berufen. Ein
derartiger Verstoß kann jedoch nicht zur Inexistenz der angefochtenen
Entscheidung führen, sondern allenfalls nach rechtzeitiger Rüge zur Nichtigkeit.
Im übrigen hat die Klägerin unter I. 3 ihres Schriftsatzes vorgetragen, es spreche
unter Berücksichtigung der Sachlage in den PVC-Verfahren eine tatsächliche
Vermutung dafür, daß die Kommission auch bei ihren Polypropylen-Entscheidungen unbefugt nachträgliche Änderungen vorgenommen habe. Die
Klägerin hat jedoch nicht dargelegt, warum die Kommission auch im Jahr 1986,
also in einer normalen Situation, die sich von den besonderen Umständen der
PVC-Verfahren beim Ablauf ihres Mandats im Januar 1989 erheblich unterschied,
nachträglich Änderungen an der Entscheidung vorgenommen haben soll. Der bloße
Hinweis auf ein .fehlendes Unrechtsbewußtsein' reicht hierfür nicht aus. Die
diesbezügliche pauschale Vermutung der Klägerin gibt mithin keinen hinreichenden
Anlaß zu einer Beweisaufnahme nach Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung.“
- 41.
- Randnummer 385 lautet:
„Das Vorbringen unter I. 1 des Schriftsatzes der Klägerin ist schließlich dahin zu
werten, daß diese unter Bezugnahme auf die Erklärungen der
Verfahrensbevollmächtigten der Kommission in den PVC-Verfahren konkret
behauptet, es fehle eine durch die Unterschriften des Präsidenten der Kommission
und des Exekutivsekretärs festgestellte Urschrift der angefochtenen Entscheidung.
Dieser angebliche Mangel, selbst wenn er bestehen sollte, führt jedoch für sich
genommen noch nicht zur Inexistenz der angefochtenen Entscheidung. Anders als
in den bereits mehrfach erwähnten PVC-Verfahren hat die Klägerin im
vorliegenden Verfahren nämlich keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen,
daß nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung der Grundsatz der
Unantastbarkeit eines beschlossenen Rechtsakts verletzt worden ist und damit die
angefochtene Entscheidung zugunsten der Klägerin die Vermutung ihrer
Rechtmäßigkeit verloren hat, die ihr aufgrund des Anscheins zukommt. Dann aber
führt das bloße Fehlen einer ausgefertigten Urschrift noch nicht zur Inexistenz der
angefochtenen Entscheidung. Auch insoweit war die mündliche Verhandlung daher
nicht für eine nachträgliche Beweisaufnahme wiederzueröffnen. Da das Vorbringen
der Klägerin auch keine Wiederaufnahme des Verfahrens begründen würde, war
ihrer Anregung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, nicht stattzugeben.“
- 42.
- Das Gericht hat Artikel 1 siebter Gedankenstrich der Polypropylen-Entscheidung
für nichtig erklärt, soweit dort festgestellt wird, daß die Rechtsmittelführerin von
einem Zeitpunkt zwischen 1977 und 1979 an an der Zuwiderhandlung
teilgenommen habe, und nicht von Ende 1978 oder Anfang 1979 an. Es hat die in
Artikel 3 dieser Entscheidung gegen die Rechtsmittelführerin verhängte Geldbuße
auf 2 337 500 ECU bzw. 5 013 680,38 DM herabgesetzt. Im übrigen hat es die
Klage abgewiesen sowie der Rechtsmittelführerin ihre eigenen Kosten und die
Hälfte der Kosten der Kommission und dieser die andere Hälfte ihrer eigenen
Kosten auferlegt.
Das Rechtsmittel
- 43.
- In ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Rechtsmittelführerin,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Polypropylen-Entscheidung für
inexistent zu erklären;
hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Polypropylen-Entscheidung insgesamt für nichtig zu erklären;
weiter hilfsweise, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben und die
Polypropylen-Entscheidung auch insoweit für nichtig zu erklären, als letztere
aufrechterhalten, die Geldbuße auf 2 337 500 ECU festgesetzt und sie zur
Kostentragung verurteilt worden ist, und nach ihren in erster Instanz
gestellten Anträgen zu erkennen;
äußerst hilfsweise, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen,
die Kosten des Verfahrens der Kommission aufzuerlegen.
- 44.
- Vorsorglich beantragt die Rechtsmittelführerin, der Kommission aufzugeben, das
Original oder eine beglaubigte Abschrift des Protokolls der wahrscheinlich am 23.
April 1986 abgehaltenen Kommissionssitzung vorzulegen, in der die Polypropylen-Entscheidung gemäß Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission beschlossen
worden ist, den Wortlaut der vom Kommissionskollegium beschlossenen
Polypropylen-Entscheidung in den beschlossenen sprachlichen Fassungen
vorzulegen und dem Gericht mitzuteilen, ob und, wenn ja, welche Änderungen an
der vom Kommissionskollegium beschlossenen Entscheidung nachträglich
vorgenommen worden sind. In ihrer Erwiderung beantragt die Rechtsmittelführerin
ferner, ihr Einsicht in die genannten Dokumente zu gestatten.
- 45.
- Mit Beschluß des Gerichtshofes vom 30. September 1992 ist die DSM NV (im
folgenden auch: DSM) als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der
Rechtsmittelführerin zugelassen worden. Die Streithelferin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben,
die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung festzustellen oder sie für
nichtig zu erklären,
unabhängig davon, ob die Adressaten der Polypropylen-Entscheidung ein
Rechtsmittel gegen das sie betreffende Urteil eingelegt haben und ob ihr
Rechtsmittel zurückgewiesen worden ist, gegenüber allen Adressaten dieserEntscheidung, jedenfalls aber gegenüber ihr selbst, die Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung festzustellen oder sie für nichtig zu erklären,
hilfsweise, die Sache zur Entscheidung darüber, ob die Polypropylen-Entscheidung inexistent ist oder ob sie für nichtig zu erklären ist, an das
Gericht zurückzuverweisen und
der Kommission auf jeden Fall die Kosten sowohl für das Verfahren vor
dem Gerichtshof als auch für das Verfahren vor dem Gericht einschließlich
der ihr für die Streithilfe entstandenen Kosten aufzuerlegen.
- 46.
- Die Kommission beantragt,
das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, soweit die Verletzung
materiellen Gemeinschaftsrechts bei der Prüfung der Polypropylen-Entscheidung gerügt wird, und das Rechtsmittel im übrigen als unbegründet
zurückzuweisen;
hilfsweise, das Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen;
der Rechtsmittelführerin die Kosten des Rechtsmittelverfahrens
aufzuerlegen;
die Streithilfe insgesamt als unzulässig zurückzuweisen;
hilfsweise, den Antrag der Streithelferin, der dahin geht, unabhängig davon,
ob die Adressaten der Polypropylen-Entscheidung ein Rechtsmittel gegen
das sie betreffende Urteil eingelegt haben und ob ihr Rechtsmittel
zurückgewiesen worden ist, gegenüber allen Adressaten dieser
Entscheidung, jedenfalls aber gegenüber ihr selbst, die Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung festzustellen oder sie für nichtig zu erklären, als
unzulässig zurückzuweisen und die Streithilfe im übrigen als unbegründet
zurückzuweisen;
weiter hilfsweise, die Streithilfe als unbegründet zurückzuweisen;
der Streithelferin auf jeden Fall die durch die Streithilfe entstandenen
Kosten aufzuerlegen.
- 47.
- Zur Begründung ihres Rechtsmittels rügt die Rechtsmittelführerin Verfahrensfehler
und die Verletzung des Gemeinschaftsrechts erstens im Zusammenhang mit der
Weigerung des Gerichts, die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung festzustellen
oder sie wegen Verletzung wesentlicher Formvorschriften für nichtig zu erklären,
zweitens bei der ablehnenden Entscheidung des Gerichts über die Wiedereröffnung
der mündlichen Verhandlung, den Erlaß prozeßleitender Maßnahmen und die
Anordnung einer Beweisaufnahme und drittens bei der Feststellung und
Überprüfung des von ihm zu würdigenden Sachverhalts sowie der Beurteilung der
individuellen Verantwortlichkeit der an der Zuwiderhandlung Beteiligten und der
Bemessung der Geldbuße.
- 48.
- Auf Antrag der Kommission ist ungeachtet des Widerspruchs der
Rechtsmittelführerin das Verfahren durch Entscheidung des Präsidenten des
Gerichtshofes vom 27. Juli 1992 bis zum 15. September 1994 zur Prüfung der
Konsequenzen ausgesetzt worden, die aus dem Urteil vom 15. Juni 1994 in der
Rechtssache C-137/92 P (Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555; im folgenden:
PVC-Urteil des Gerichtshofes), das auf das Rechtsmittel gegen das PVC-Urteil des
Gerichts ergangen ist, zu ziehen sind.
Zur Zulässigkeit der Streithilfe
- 49.
- Die Kommission vertritt die Ansicht, der Streithilfeantrag von DSM sei für
unzulässig zu erklären. DSM habe nämlich erklärt, daß sie als Streithelferin ein
Interesse an der Nichtigerklärung des angefochtenen Urteils gegenüber der
Rechtsmittelführerin habe. Nach Ansicht der Kommission kann die
Nichtigerklärung nicht allen einzelnen Adressaten einer Entscheidung zugute
kommen, sondern nur denjenigen, die eine dahin gehende Klage erhoben haben;
gerade dies sei einer der Unterschiede zwischen der Nichtigerklärung eines
Rechtsakts und seiner Inexistenz. Durch eine Leugnung dieser Unterscheidung
würde den Fristen für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage jede Verbindlichkeit
genommen. DSM könne sich somit nicht auf eine eventuelle Nichtigerklärung
berufen, da sie selbst das sie betreffende Urteil des Gerichts vom 17. Dezember
1991 in der Rechtssache T-8/89 (DSM/Kommission, Slg. 1991, II-1833) nicht beim
Gerichtshof angefochten habe. Mit ihrer Streithilfe versuche sie somit, eine
Ausschlußfrist zu umgehen.
- 50.
- Der schon erwähnte Beschluß vom 30. September 1992, durch den die Streithilfe
von DSM zugelassen worden sei, sei zu einer Zeit ergangen, als die Entscheidung
des Gerichtshofes über die Nichtigerklärung oder die Inexistenz in seinem
PVC-Urteil noch nicht vorgelegen habe. Nach Ansicht der Kommission können die
geltend gemachten Mängel nach Erlaß des genannten Urteils, sofern sie tatsächlich
vorliegen, lediglich zur Nichtigerklärung der Polypropylen-Entscheidung und nicht
zur Feststellung ihrer Inexistenz führen. Demgemäß habe DSM kein Interesse an
einer Streithilfe mehr.
- 51.
- Insbesondere bestreitet die Kommission die Zulässigkeit des Antrags von DSM, der
dahin gehe, daß das Urteil des Gerichts unabhängig davon, ob die Adressaten der
Polypropylen-Entscheidung ein Rechtsmittel gegen das sie betreffende Urteil
eingelegt hätten oder ob ihr Rechtsmittel zurückgewiesen worden sei,
Bestimmungen zur Feststellung der Inexistenz oder zur Nichtigerklärung der
Polypropylen-Entscheidung gegenüber allen ihren Adressaten, zumindest aber
gegenüber DSM, enthalten solle. Dieser Antrag sei unzulässig, weil DSM damit
eine nur sie selbst betreffende Frage aufzuwerfen versuche, obwohl sie den
Rechtsstreit nur in der Lage annehmen könne, in der er sich befinde. Nach Artikel
37 Absatz 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes könne der Streithelfer nur die
Anträge einer Partei unterstützen und keine eigenen Anträge stellen. Der genannte
Antrag von DSM bestätige, daß sie die Streithilfe dazu verwenden wolle, um sich
dem Ablauf der Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das genannte sie
betreffende Urteil DSM/Kommission zu entziehen.
- 52.
- In bezug auf die gegen die Streithilfe insgesamt erhobene Einrede der
Unzulässigkeit ist vorab zu bemerken, daß der Beschluß vom 30. September 1992,
durch den der Gerichtshof DSM als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge
der Rechtsmittelführerin zugelassen hat, einer erneuten Prüfung der Zulässigkeit
der Streithilfe von DSM nicht entgegensteht (dahin gehend Urteil vom 29. Oktober
1980 in der Rechtssache 138/79, Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, 3333).
- 53.
- Nach Artikel 37 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes steht das Recht,
einem beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreit beizutreten, allen Personen zu, die
ein berechtigtes Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits glaubhaft machen. Nach
Absatz 4 derselben Bestimmung können mit den aufgrund des Beitritts gestellten
Anträgen nur die Anträge einer Partei unterstützt werden.
- 54.
- Die Anträge der Rechtsmittelführerin sind u. a. darauf gerichtet, das angefochtene
Urteil aufzuheben, weil das Gericht nicht die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung festgestellt habe. Wie sich aus Randnummer 49 des PVC-Urteils des
Gerichtshofes ergibt, entfalten Rechtsakte, die offenkundig mit einem so schweren
Fehler behaftet sind, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung ihn nicht tolerieren
kann, abweichend von der Gültigkeitsvermutung für Rechtsakte der
Gemeinschaftsorgane nicht einmal vorläufig Rechtswirkung, sind also rechtlich
inexistent.
- 55.
- Entgegen dem Vorbringen der Kommission ist das Interesse von DSM nicht infolge
des Erlasses des Urteils entfallen, durch das der Gerichtshof das PVC-Urteil des
Gerichts aufgehoben und die von diesem festgestellten Mängel nicht für geeignet
angesehen hat, die Inexistenz der in den PVC-Sachen angefochtenen Entscheidung
nach sich zu ziehen. Das PVC-Urteil betraf nämlich nicht die Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung und hat daher das Interesse von DSM an der
Feststellung dieser Inexistenz nicht entfallen lassen.
- 56.
- Zur Einrede der Kommission gegen den Antrag von DSM auf Feststellung der
Inexistenz oder Nichtigerklärung der Polypropylen-Entscheidung gegenüber allen
ihren Adressaten, zumindest aber gegenüber ihr selbst, ist festzustellen, daß dieser
Antrag speziell DSM betrifft und nicht den Anträgen der Rechtsmittelführerin
entspricht. Daher genügt er nicht den Anforderungen des Artikels 37 Absatz 4 der
EG-Satzung des Gerichtshofes und ist deshalb für unzulässig zu erklären.
Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels
- 57.
- Die Kommission erklärt, sie habe Bedenken gegen die Zulässigkeit des Teils der
Rechtsmittelschrift, der sich auf Verletzungen des Gemeinschaftsrechts durch das
Gericht bei der Feststellung und Überprüfung des Sachverhalts, bei der Beurteilung
der individuellen Verantwortlichkeit der an der Zuwiderhandlung Beteiligten und
bei der Bemessung der Geldbuße beziehe.
- 58.
- Nach den Artikeln 225 EG (früher Artikel 168a) und 51 der EG-Satzung des
Gerichtshofes sei das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt und könne nur auf
die dort abschließend aufgeführten Rechtsmittelgründe gestützt werden. Eine
erneute Prüfung der Tatsachen sei ausgeschlossen. Aus der Rechtsmittelschrift lasse
sich nicht genau erkennen, ob die angeblich vom Gericht gemachten Fehler als
Verletzung von anzuwendenden Beweisregeln oder hinsichtlich der konkreten
Anwendung der Beweisregeln auf den Sachverhalt kritisiert werden, die als solche
nicht gerügt werden könne. Die Rechtsmittelführerin mache nicht ausreichend
deutlich, welche Rechtsregel das Gericht verletzt haben solle.
- 59.
- Die Rechtsmittelführerin kritisiere, daß das Gericht sich insbesondere auf Indizien
gestützt habe, die durch Gegenindizien entkräftet worden seien, und außerdem, daß
das Gericht den Grundsatz „in dubio pro reo“ oder den Grundsatz der
Unschuldsvermutung verletzt habe. Die Rechtsmittelführerin habe nicht behauptet,
daß das Gericht ein Beweismittel nicht geprüft oder verfälscht habe, was ein vom
Gerichtshof zu prüfender Verstoß sein könne. Vielmehr habe sie die Würdigung
der Beweise durch das Gericht kritisiert.
- 60.
- Das gleiche gelte für die angebliche Verletzung der Rechtsregel der
Unschuldsvermutung. Wenn das Gericht die verschiedenen gegenläufigen
Beweiselemente würdige und aufgrund einer Abwägung zu einem Ergebnis
hinsichtlich der Tatsachenfeststellung komme, könne dieses vom Gerichtshof nicht
überprüft werden, es sei denn, es ergebe sich aus den Akten, daß diese Feststellung
objektiv falsch sei. Nur die rechtliche Einordnung eines Sachverhalts, d. h. seine
Subsumtion unter das Gesetz, könne Gegenstand eines Rechtsmittels sein. Die
Nachprüfung durch den Gerichtshof gehe dahin, ob der vom Gericht aufgrund der
von ihm vorgenommenen Beweiswürdigung festgestellte Sachverhalt die
vorgenommene Anwendung der Rechtsregel trage. Dies dürfe man nicht, wie die
Rechtsmittelführerin es tue, mit einer Überprüfung der Sachverhaltsfeststellung und
der Beweiswürdigung verwechseln.
- 61.
- Die Rechtsmittelführerin macht zunächst geltend, sie habe ausführlich vorgetragen,
in welcher Weise die Prüfung des Gerichts Vorschriften des materiellen
Gemeinschaftsrechts verletzt habe. Auch habe sie deutlich gemacht, daß es nicht
um Fragen der Beweiswürdigung gehe. Vielmehr habe sie geltend gemacht, daß das
Gericht den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und sich auf Indizien gestützt
habe, die durch Gegenindizien entkräftet worden seien. Dieses Vorgehen verletze
Denkgesetze und Erfahrungsregeln, darüber hinaus aber auch die Aufklärungs- und
Nachweispflicht des Gerichts.
- 62.
- Sie habe die Verletzung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ ausdrücklich gerügt
und sich außerdem auf Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 berufen, der gemäß
Artikel F Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union (nach Änderung
jetzt Artikel 6 Absatz 2 EU) zum Gemeinschaftsrecht gehöre. Ein Verstoß gegen
die Aufklärungspflicht verletze die Unschuldsvermutung, die auch für
verwaltungsrechtliche Sanktionen wie z. B. Bußgelder gelte, die bei Verstößen
gegen Vorschriften des Wettbewerbsrechts verhängt würden.
- 63.
- Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin muß der Gerichtshof die Urteile des
Gerichts auf Verletzungen der Beweisregeln, der Denkgesetze und der
Erfahrungsregeln hin überprüfen. Die Anwendung der Vorschriften des
Wettbewerbsrechts auf Fälle, in denen der Sachverhalt eine derartige Anwendung
nicht trage, stelle ebenso eine Rechtsfrage dar wie die Frage, ob die
Tatsachenfeststellungen ausreichten, um einen Verstoß gegen Artikel 81 EG als
gegeben anzunehmen. Die Anwendung dieser Vorschrift auf Sachverhalte, in denen
keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Verstoß vorlägen,
verletze das Wettbewerbsrecht. Die Verstöße gegen die anzuwendenden
Beweisregeln führten daher durch eine Überdehnung ihres Anwendungsbereichs
auch zu einer Verletzung der Wettbewerbsvorschriften. Einen derartigen Fehler
habe das Gericht begangen, indem es eine abgestimmte Verhaltensweise
angenommen habe, obwohl kein entsprechendes Marktverhalten der
Rechtsmittelführerin festgestellt worden sei. Zusammenfassend sei festzuhalten, daß
die Fragen des Beweismaßes, der Schlüssigkeit und der Vollständigkeit der
Tatsachenfeststellungen in bezug auf die darauf gestützten rechtlichen
Schlußfolgerungen Rechtsfragen seien, die der Nachprüfung durch den Gerichtshof
unterlägen. Das Rechtsmittel sei daher insgesamt zulässig.
- 64.
- Nach den Artikeln 225 EG und 51 der EG-Satzung des Gerichtshofes kann ein
Rechtsmittel nur auf Gründe gestützt werden, die sich auf die Verletzung vonRechtsvorschriften beziehen und jede Tatsachenwürdigung ausschließen. Die vom
Gericht vorgenommene Würdigung der ihm vorgelegten Beweismittel ist, sofern
diese nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des
Gerichtshofes unterliegt (u. a. Urteil vom 2. März 1994 in der Rechtssache
C-53/92 P, Hilti/Kommission, Slg. 1994, I-667, Randnrn. 10 und 42).
- 65.
- Soweit die Rügen der Rechtsmittelführerin die vom Gericht vorgenommene
Würdigung des Sachverhalts betreffen sollten, den die Rechtsmittelführerin dem
Gericht unterbreitet hat, können sie im Rechtsmittelverfahren nicht geprüft werden.
Dagegen steht es dem Gerichtshof zu, zu klären, ob das Gericht bei der
Sachverhaltswürdigung dadurch einen Rechtsirrtum begangen hat, daß es gegen die
allgemeinen Rechtsgrundsätze wie die Unschuldsvermutung und gegen das
Beweisrecht, insbesondere die Grundsätze der Beweislastverteilung, verstoßen hat
(dahin gehend Urteil vom 1. Juni 1994 in der Rechtssache C-136/92 P,
Kommission/Brazzelli Lualdi u. a., Slg. 1994, I-1981, Randnr.66, Beschluß vom 17.
September 1996 in der Rechtssache C-19/95 P, San Marco/Kommission, Slg. 1996,
I-4435, Randnr. 40, Urteile von 28. Mai 1998 in den Rechtssachen C-7/95 P,
Deere/Kommission, Slg. 1998, I-3111, Randnr. 22, und C-8/95 P, New Holland
Ford/Kommission, Slg. 1998, I-3175, Randnr. 26, und Urteil vom 17. Dezember
1998 in der Rechtssache C-185/95 P, Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1998,
I-8417, Randnr. 24).
- 66.
- In Rechtsmittelverfahren zulässig sind auch Rechtsmittelgründe, mit denen eine
unzulängliche oder widersprüchliche Begründung des angefochtenen Urteils gerügt
wird (Urteile vom 1. Oktober 1991 in der Rechtssache C-283/90 P,
Vidrányi/Kommission, Slg. 1991, I-4339, Randnr. 29, und
Baustahlgewebe/Kommission, Randnr. 25).
- 67.
- Zu den von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Verstößen gegen Artikel
81 EG ist lediglich festzustellen, daß sie sich aus den angeblichen Verstößen gegen
die anzuwendenden Beweisregeln ergeben sollen und diese Rüge daher keinen
selbständigen Inhalt hat.
- 68.
- Somit sind die von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Rügen, die sich auf die
Feststellung und Überprüfung des vom Gericht zu würdigenden Sachverhalts
beziehen, nacheinander auf ihre Zulässigkeit im Rechtsmittelverfahren zu
überprüfen.
Zu den Rechtsmittelgründen: Verfahrensfehler und Verletzung des
Gemeinschaftsrechts
- 69.
- Unter Hinweis auf die Randnummern 382 bis 385 des angefochtenen Urteils macht
die Rechtsmittelführerin zur Begründung ihres Rechtsmittels geltend, im Sinne von
Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes habe das Gericht das
Gemeinschaftsrecht verletzt und einen ihre Interessen beeinträchtigenden
Verfahrensfehler begangen, soweit es entschieden habe, daß die Polypropylen-Entscheidung nicht inexistent und nicht für nichtig zu erklären sei, sowie den
Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und auf Anordnung der
erforderlichen prozeßleitenden Maßnahmen und Beweiserhebungen zurückgewiesen
habe. Unter Hinweis auf die Randnummern 90 bis 261 des angefochtenen Urteils
macht die Rechtsmittelführerin geltend, bei der Feststellung und Überprüfung des
von ihm zu würdigenden Sachverhalts habe das Gericht Verletzungen des
Gemeinschaftsrechts begangen, die sich auch auf die Beurteilung der individuellen
Verantwortlichkeit der an der Zuwiderhandlung Beteiligten und die in den
Randnummern 343 bis 381 des angefochtenen Urteils behandelte Bemessung der
Geldbuße ausgewirkt hätten.
Zu der Unterlassung, wegen Verletzung wesentlicher Formvorschriften die Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung festzustellen oder sie für nichtig zu erklären
- 70.
- Mit dem ersten Teil des Rechtsmittelgrundes der Verletzung des
Gemeinschaftsrechts beanstandet die Rechtsmittelführerin, daß das Gericht es
unterlassen habe, wegen der Mängel des Verfahrens zum Erlaß der
Polypropylen-Entscheidung deren Inexistenz festzustellen oder sie für nichtig zu
erklären.
- 71.
- Die Rechtsmittelführerin macht geltend, daß das Urteil aufzuheben sei, weil das
Gericht die Grundsätze über den inexistenten Rechtsakt, die Reichweite der
Vermutung der Rechtmäßigkeit von Rechtsakten und die Anscheinstheorie
verkannt habe.
- 72.
- Das Gemeinschaftsrecht kenne als Folge besonders schwerer und offenkundiger
Fehler von Rechtsakten das Institut des inexistenten Rechtsakts. Die
Rechtsprechung ermögliche es zwar nicht, einen abschließenden Katalog von
Fehlern aufzustellen, die zur Inexistenz eines Rechtsakts führten. Jedenfalls könne
es sich aber um Zuständigkeitsmängel, Verfahrensfehler, Formfehler oder
inhaltliche Fehler handeln. Ein schwerer Fehler führe nur dann zur absoluten
Nichtigkeit, wenn er offenkundig sei, d. h. wenn ein unvoreingenommener
Beobachter die Fehlerhaftigkeit ohne weiteres erkennen könne. Das Gericht habe
diese Grundsätze im angefochtenen Urteil verkannt. Das Fehlen von Unterschriften
und nachträgliche Änderungen, die den Behörden eine Überprüfung der Echtheit
des Titels gemäß Artikel 256 EG (früher Artikel 192) unmöglich machten, stellten
zur Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung führende schwere und offenkundige
Mängel dar.
- 73.
- Die Rechtsmittelführerin vertritt die Ansicht, daß der Gerichtshof in seinem PVC-Urteil die Grundsätze für die Inexistenz eines Rechtsakts nicht eindeutig geklärt
habe. Wenn die Verfahrensfehler nicht zur Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung führen sollten, so hätten sie nach dem genannten Urteil jedenfalls die
Nichtigkeit zur Folge.
- 74.
- Das Gericht habe ferner verkannt, daß die die Inexistenz eines Rechtsakts
begründenden schweren und offenkundigen Fehler, wie z. B. die fehlende
Unterzeichnung, die Vermutung der Rechtmäßigkeit gar nicht erst entstehen ließen
und daß es dazu nicht etwa eines zusätzlichen Fehlers, nämlich der Verletzung des
Grundsatzes der Unantastbarkeit eines beschlossenen Rechtsakts, bedürfe.
Schließlich werde durch die vom Gericht entwickelte Anscheinstheorie zugunsten
des zugestellten Rechtsakts verkannt, daß jeder Fehler eines Rechtsakts notwendig
auch seiner zugestellten Abschrift anhafte.
- 75.
- Die Streithelferin trägt vor, in anderen beim Gericht anhängigen Rechtssachen
seien neue Entwicklungen eingetreten. Aus diesen ergebe sich, daß die Kommission
ihre Einhaltung der wesentlichen Verfahrensregeln, die sie selbst für sich festgesetzt
habe, hätte nachweisen müssen und daß das Gericht zur Klärung dieser Frage von
Amts wegen oder auf Antrag eine Beweisaufnahme zur Nachprüfung der
einschlägigen Urkundenbeweise hätte anordnen müssen. In den jeweils mit Urteil
vom 29. Juni 1995 abgeschlossenen Rechtssachen T-30/91 (Solvay/Kommission, Slg.
1995, II-1775) und T-36/91 (ICI/Kommission, Slg. 1995, II-1847) (im folgenden:
Soda-Sachen) habe die Kommission geltend gemacht, daß die von ICI nach Erlaß
des PVC-Urteils des Gerichts in diesen Rechtssachen eingereichte Ergänzung der
Erwiderung keinen Beweis für einen Verstoß der Kommission gegen ihre
Geschäftsordnung enthalte und daß es sich bei dem Antrag von ICI auf eine
Beweisaufnahme um ein neues Angriffsmittel handele. Das Gericht habe dennoch
Fragen nach den Konsequenzen aus dem PVC-Urteil des Gerichtshofes an die
Kommission und ICI gestellt und die Kommission dennoch gefragt, ob sie im
Hinblick auf Randnummer 32 des PVC-Urteils des Gerichtshofes die
Protokollauszüge und die angefochtenen Entscheidungen in ihrem festgestellten
Wortlaut vorlegen könne. Nach weiteren Entwicklungen in dem Verfahren habe die
Kommission schließlich eingeräumt, daß die als festgestellt vorgelegten Urkunden
erst nach dem Vorlageverlangen des Gerichts festgestellt worden seien.
- 76.
- Weiter trägt die Streithelferin vor, in den Polyäthylen niedriger Dichte betreffenden
Rechtssachen T-80/89, T-81/89, T-83/89, T-87/89, T-88/89, T-90/89, T-93/89,
T-95/89, T-97/89, T-99/89, T-100/89, T-101/89, T-103/89, T-105/89, T-107/89 und
T-112/89 (BASF u. a./Kommission, Urteil vom 6. April 1995, Slg. 1995, II-729) habe
das Gericht der Kommission ebenfalls aufgegeben, eine beglaubigte Fassung der
angefochtenen Entscheidung vorzulegen. Die Kommission habe eingeräumt, daß
in der Sitzung, in der das Kommissionskollegium diese Entscheidung gefaßt habe,
keine Feststellung erfolgt sei. Demnach müsse das Verfahren zur Feststellung von
Rechtsakten der Kommission nach dem März 1992 eingeführt worden sein. Daraus
folge, daß derselbe Mangel der fehlenden Feststellung auch der Polypropylen-Entscheidung anhaften müsse.
- 77.
- In entsprechender Weise wie in den Polypropylen-Sachen habe das Gericht in den
Urteilen vom 27. Oktober 1994 in den Rechtssachen T-34/92 (Fiatagri und New
Holland Ford/Kommission, Slg. 1994, II-905, Randnrn. 24 bis 27) und T-35/92
(Deere/Kommission, Slg. 1995, II-957, Randnrn. 28 bis 31) argumentiert, als es das
Vorbringen der Klägerinnen mit der Begründung zurückgewiesen habe, daß diese
nicht den geringsten Anhaltspunkt zur Widerlegung der Gültigkeitsvermutung für
die von ihnen angefochtene Entscheidung vorgetragen hätten. Im Urteil des
Gerichts vom 7. Juli 1994 in der Rechtssache T-43/92 (Dunlop
Slazenger/Kommission, Slg. 1994, II-441) sei die Argumentation der Klägerin mit
der Begründung zurückgewiesen worden, daß die Entscheidung gemäß der
Geschäftsordnung der Kommission erlassen und zugestellt worden sei. In keiner
dieser Rechtssachen habe das Gericht die Argumentation der Klägerinnen zur
Fehlerhaftigkeit des Erlasses der angefochtenen Handlung mit der Begründung
zurückgewiesen, daß die Verfahrensregeln nicht eingehalten worden seien.
- 78.
- Die einzigen Ausnahmen ergäben sich aus den Beschlüssen vom 26. März 1992 in
der Rechtssache T-4/89 REV (BASF/Kommission, Slg. 1992, II-1591) und vom 4.
November 1992 in der Rechtssache T-8/89 REV (DSM/Kommission, Slg. 1992,
II-2399); doch hätten sich selbst in diesen Rechtssachen die Antragstellerinnen
nicht auf das PVC-Urteil des Gerichts als neue Tatsache, sondern auf andere
Tatsachen berufen. Im Urteil vom 15. Dezember 1994 in der Rechtssache
C-195/91 P (Bayer/Kommission, Slg. 1994, I-5619) habe der Gerichtshof das
Vorbringen, daß die Kommission gegen ihre Geschäftsordnung verstoßen habe,
zurückgewiesen, weil dies nicht wirksam vor dem Gericht geltend gemacht worden
sei. Dagegen sei dieselbe Rüge im Polypropylen-Verfahren vor dem Gericht
erhoben und mit der Begründung, daß kein genügender Anhaltspunkt vorliege,
zurückgewiesen worden.
- 79.
- Die Streithelferin vertritt die Ansicht, die Verteidigung der Kommission in dieser
Rechtssache sei auf Verfahrensargumente gestützt, die angesichts des Inhalts des
angefochtenen Urteils, das im wesentlichen die Frage der Beweislast betreffe,
unerheblich seien. Wenn die Kommission in den Polypropylen-Sachen nicht selbst
Beweise für die Fehlerfreiheit der anzuwendenden Verfahren vorbringe, so deshalb,
weil sie die Einhaltung ihrer eigenen Geschäftsordnung nicht nachweisen könne.
- 80.
- Die Kommission trägt vor, aufgrund des PVC-Urteils des Gerichtshofes stehe fest,
daß die Polypropylen-Entscheidung nicht als rechtlich inexistent betrachtet werden
könne, selbst wenn sie mit den gleichen Fehlern wie die PVC-Entscheidung
behaftet gewesen sein sollte. Da das angefochtene Urteil keine Rechtsverletzung
erkennen lasse, sei das Rechtsmittel zurückzuweisen. Für die Beweisanträge und -angebote der Rechtsmittelführerin sei kein Raum.
- 81.
- Zu den Argumenten der Streithelferin trägt die Kommission vor, sie enthielten
einen unheilbaren Mangel, da darin die Unterschiede zwischen den PVC-Sachen
und dieser Rechtssache außer acht gelassen würden und sie auf einem falschen
Verständnis des PVC-Urteils des Gerichtshofes beruhten.
- 82.
- Außerdem vertritt die Kommission weiterhin die Ansicht, die Klägerinnen hätten
in den Soda-Sachen keine so ausreichenden Anhaltspunkte vorgebracht, daß eine
Anforderung von Dokumenten bei der Kommission durch das Gericht
gerechtfertigt gewesen wäre. Jedenfalls habe das Gericht sowohl in den genannten
Rechtssachen als auch in den ebenfalls von der Streithelferin angeführten
Polyäthylen niedriger Dichte betreffenden Rechtssachen unter Berücksichtigung
besonderer Umstände des bei ihm anhängigen Falles entschieden. Im
Polypropylen-Verfahren hätte schon 1986 auf die angeblichen Unzulänglichkeiten
der Polypropylen-Entscheidung hingewiesen werden können, doch habe dies
niemand getan.
- 83.
- Wenn das Gericht in den Urteilen Fiatagri und New Holland Ford/Kommission und
Deere/Kommission das rechtzeitige Vorbringen wegen fehlender Beweisangebote
zurückgewiesen habe, so sei dies in dieser Rechtssache, in der die Argumente zu
den formellen Mängeln der Polypropylen-Entscheidung verspätet und ohne Beweise
vorgebracht worden seien, erst recht geboten.
- 84.
- Erstens ist zu den Voraussetzungen für die Inexistenz eines Rechtsakts darauf
hinzuweisen, daß für die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane, wie sich u. a. aus
den Randnummern 48 bis 50 des PVC-Urteils des Gerichtshofes ergibt,
grundsätzlich die Vermutung der Gültigkeit spricht und sie daher selbst dann, wenn
sie fehlerhaft sind, Rechtswirkungen entfalten, solange sie nicht aufgehoben oder
zurückgenommen werden.
- 85.
- Abweichend von diesem Grundsatz entfalten allerdings Rechtsakte, die offenkundig
mit einem so schweren Fehler behaftet sind, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung
ihn nicht tolerieren kann, nicht einmal vorläufig Rechtswirkung, sind also rechtlich
inexistent. Diese Ausnahme von dem Grundsatz soll einen Ausgleich zwischen zweigrundlegenden, manchmal jedoch einander widerstreitenden Erfordernissen
herstellen, denen eine Rechtsordnung genügen muß, nämlich zwischen der Stabilität
der Rechtsbeziehungen und der Wahrung der Rechtmäßigkeit.
- 86.
- Die Schwere der Folgen, die mit der Feststellung der Inexistenz eines Rechtsakts
der Gemeinschaftsorgane verbunden sind, verlangt aus Gründen der
Rechtssicherheit, daß diese Feststellung auf ganz außergewöhnliche Fälle
beschränkt wird.
- 87.
- Ebenso wie in den PVC-Sachen sind die von der Rechtsmittelführerin geltend
gemachten Fehler, die das Verfahren des Erlasses der Polypropylen-Entscheidung
betreffen, aber für sich allein oder auch insgesamt betrachtet nicht so
offenkundig schwer, daß die genannte Entscheidung als rechtlich inexistent
anzusehen wäre.
- 88.
- Somit hat das Gericht hinsichtlich der Voraussetzungen für die Inexistenz eines
Rechtsakts nicht das Gemeinschaftsrecht verletzt.
- 89.
- Zweitens ist hinsichtlich der Weigerung des Gerichts, Mängel beim Erlaß und bei
der Bekanntgabe der Polypropylen-Entscheidung festzustellen, die zu deren
Nichtigkeit führen können, lediglich zu bemerken, daß die betreffende Rüge
erstmals im Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und
Beweisaufnahme vorgebracht worden ist. Daher fällt die Frage, ob das Gericht sie
hätte prüfen müssen, mit der den Gegenstand der Rüge von Verfahrensfehlern
bildenden Frage zusammen, ob das Gericht dem genannten Antrag hätte stattgeben
müssen.
- 90.
- Drittens ist schließlich zu dem Antrag der Rechtsmittelführerin vor dem
Gerichtshof, eine Beweisaufnahme zur Klärung der Umstände anzuordnen, unter
denen die Kommission die Polypropylen-Entscheidung erlassen hat, oder ihrem
dahin gehenden Beweisangebot lediglich festzustellen, daß in dem auf Rechtsfragen
beschränkten Rechtsmittelverfahren kein Raum für Beweiserhebungen ist.
- 91.
- Denn zum einen würden Beweiserhebungen den Gerichtshof notwendigerweise zu
Entscheidungen über Tatsachenfragen veranlassen und unter Verstoß gegen Artikel
113 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes den vor dem Gericht
verhandelten Streitgegenstand verändern.
- 92.
- Zum anderen betrifft das Rechtsmittel nur das angefochtene Urteil und ermöglicht
es dem Gerichtshof gemäß Artikel 54 Absatz 1 seiner EG-Satzung nur bei dessen
Aufhebung, den Rechtsstreit selbst zu entscheiden. Infolgedessen hat der
Gerichtshof, solange das angefochtene Urteil nicht aufgehoben ist, nicht über
eventuelle Mängel der Polypropylen-Entscheidung zu befinden.
- 93.
- Nach alledem ist der erste Teil des Rechtsmittelgrundes der Verletzung des
Gemeinschaftsrechts zurückzuweisen.
Zur Unterlassung der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, prozeßleitender
Maßnahmen und einer Beweisaufnahme
- 94.
- Mit einem zweiten Teil des Rechtsmittelgrundes der Verletzung des
Gemeinschaftsrechts und dem Rechtsmittelgrund, mit dem Verfahrensfehler gerügt
werden, beanstandet die Rechtsmittelführerin, daß das Gericht nicht die mündliche
Verhandlung wiedereröffnet, keine prozeßleitenden Maßnahmen getroffen und
keine Beweisaufnahme angeordnet habe.
- 95.
- Soweit die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachte Rüge der Verletzung des
Gemeinschaftsrechts die Tatsache betrifft, daß das Gericht die Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung, den Erlaß prozeßleitender Maßnahmen und die
Anordnung einer Beweisaufnahme abgelehnt hat, fällt sie ebenfalls mit dem aus
Verfahrensfehlern hergeleiteten Rechtsmittelgrund zusammen. Diese Rügen sind
daher zusammen zu prüfen.
- 96.
- Somit ist zu klären, ob das Gericht dadurch, daß es die Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung, den Erlaß prozeßleitender Maßnahmen und die
Anordnung einer Beweisaufnahme abgelehnt hat, Verfahrensfehler begangen hat.
- 97.
- Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe durch seine Weigerung,
die mündliche Verhandlung gemäß ihrem Antrag vom 4. März 1992
wiederzueröffnen, gegen Artikel 62 seiner Verfahrensordnung verstoßen. Ferner
habe es dadurch gegen die Artikel 21 der EG-Satzung des Gerichtshofes und 64 § 3
Buchstabe d der Verfahrensordnung des Gerichts verstoßen, daß es der
Kommission nicht die Vorlage der die Polypropylen-Entscheidung betreffenden
internen Dokumente aufgegeben habe.
- 98.
- Zu Artikel 62 der Verfahrensordnung des Gerichts trägt die Rechtsmittelführerin
vor, das Gericht verfüge nach dieser Vorschrift nicht über ein unbeschränktes
Ermessen, aufgrund dessen der Beschluß über die Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung in seiner freien Entscheidungsmacht stünde. Der Rechtsprechung des
Gerichtshofes zu Artikel 61 seiner Verfahrensordnung, die zur Auslegung der
genannten Vorschrift herangezogen werden könne, sei zu entnehmen, daß eine
Verpflichtung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bestehe, wenn
zwei Voraussetzungen erfüllt seien.
- 99.
- Erstens müsse sich der Wiedereröffnungsantrag auf einen bisher unbekannten
Sachverhalt, also auf neue Tatsachen, stützen, den die betroffene Partei nicht vor
dem Ende der mündlichen Verhandlung habe vortragen können. Zweitens müsse
die den Antrag stellende Partei dartun, daß dieser Sachverhalt für den Ausgang des
Rechtsstreits von Bedeutung sei. Da im vorliegenden Fall für den Ausgang des
Rechtsstreits erhebliche neue Tatsachen vorgelegen hätten, sei ein Verstoß gegen
Artikel 62 der Verfahrensordnung des Gerichts gegeben.
- 100.
- Die Rechtsmittelführerin trägt vor, sie habe in ihrem Schriftsatz vom 4. März 1992
die Verfahrenspraxis der Kommission betreffende Tatsachen angeführt, die ihr erst
im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht in den PVC-Sachen
bekanntgeworden seien.
- 101.
- Erstens würden die Entscheidungen der Kommission entgegen Artikel 12 der
Geschäftsordnung der Kommission nicht mehr von deren Präsidenten und
Generalsekretär unterschrieben. Zweitens werde die Sprachenregelung nicht
beachtet, weil das Kommissionskollegium nur über Entwürfe in einzelnen
Verfahrenssprachen Beschluß fasse und die Annahme in den übrigen
Verfahrenssprachen unter Verstoß gegen die Artikel 12 und 27 der
Geschäftsordnung der Kommission allein durch das zuständige
Kommissionsmitglied erfolge. Drittens ändere die Kommission von ihr erlassene
Entscheidungen unter Verstoß gegen Artikel 253 EG (früher Artikel 190) noch
nach der Beschlußfassung.
- 102.
- Bei alldem handele es sich entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht um
pauschale Vermutungen, sondern um konkrete Darlegungen, die sich auf die
Erklärungen der Bevollmächtigten der Kommission in der Sitzung des Gerichts vom
10. Dezember 1991 in den PVC-Sachen stützten und sich auf spezifische Punkte
des Verwaltungsverfahrens beim Erlaß von Entscheidungen in Wettbewerbssachen
bezögen.
- 103.
- Entgegen der Ansicht, die die Kommission, gestützt auf Artikel 48 der
Verfahrensordnung des Gerichts und eine Analogie zum
Wiederaufnahmeverfahren, vertrete, sei das Vorbringen nicht verspätet. Die
Bevollmächtigten der Kommission hätten ihre Erklärungen erst in der mündlichen
Verhandlung vom 10. Dezember 1991 und nicht schon anläßlich früherer Sitzungen
abgegeben. Auch enthalte Artikel 62 der Verfahrensordnung des Gerichts keine
Ausschlußregelung; nach Sinn und Zweck der Vorschrift sei dafür kein Raum.
- 104.
- An einem zügigen Abschluß des Gerichtsverfahrens sei in erster Linie der Kläger
interessiert, insbesondere wenn er wie hier eine Geldbuße gezahlt oder eine
Bürgschaft gestellt habe. Es gebe daher keinen Grund, eine Ausschlußfrist in
Artikel 62 der Verfahrensordnung des Gerichts hineinzulesen. Diese Auslegung
werde durch Artikel 48 der Verfahrensordnung des Gerichts bestätigt, da er
ebenfalls keine Ausschlußfrist vorsehe. Die Dreimonatsfrist für das
Wiederaufnahmeverfahren nach Artikel 125 der Verfahrensordnung des Gerichts
solle der Wahrung der Rechtssicherheit dienen, die durch die Rechtskraft des
Urteils eintrete, und sei auf das Vorbringen neuer Angriffs- oder
Verteidigungsmittel oder Anträge auf Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung nicht analog anwendbar.
- 105.
- Zur Erheblichkeit ihres neuen Tatsachenvorbringens für den Ausgang des
Rechtsstreits verweist die Rechtsmittelführerin auf Randnummer 384 des
angefochtenen Urteils, in der das Gericht bestätigt habe, daß schon ein Verstoß
gegen die Sprachenregelung in der Geschäftsordnung der Kommission zur
Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung führe. Dies gelte auch für
Verletzungen von Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission oder von
Artikel 253 EG. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin hätten die fraglichen neuen
Tatsachen den Ausgang des Rechtsstreits maßgeblich beeinflußt, weil sie zur
Inexistenz oder zumindest zur Nichtigkeit der Polypropylen-Entscheidung geführt
hätten.
- 106.
- Somit seien im vorliegenden Fall die beiden Voraussetzungen erfüllt gewesen, bei
deren Vorliegen das Gericht die mündliche Verhandlung wiedereröffnen müsse. Da
dies nicht geschehen sei, liege ein Verstoß gegen Artikel 62 der Verfahrensordnung
des Gerichts vor.
- 107.
- Die Rechtsmittelführerin macht ferner geltend, das Gericht habe auch gegen
Artikel 64 § 3 Buchstabe d seiner Verfahrensordnung verstoßen, weil es seine
Aufklärungspflicht nicht erfüllt habe. Artikel 21 der EG-Satzung des Gerichtshofes
wie auch die Artikel 64 ff. der Verfahrensordnung des Gerichts belegten, daß das
Gericht den Sachverhalt unabhängig von den Beweisanträgen der Beteiligten
aufzuklären habe. Das Gericht müsse tätig werden, wenn ein Argument, das für die
Entscheidung erheblich sei, vorgetragen werde, über dieses Argument nicht ohne
Aufklärung der ihm zugrunde liegenden Tatsachen entschieden werden könne und
eine Aufklärung erforderlich sei, um festzustellen, ob das dem Argument zugrunde
liegende Tatsachenvorbringen der das Argument vortragenden Partei zutreffe.
- 108.
- Hier seien alle vorstehend genannten Voraussetzungen erfüllt gewesen, so daß das
Gericht verpflichtet gewesen wäre, die dem Schriftsatz vom 4. März 1992 zugrunde
liegenden Tatsachen aufzuklären und der Kommission die Vorlage der
maßgeblichen Dokumente aufzugeben. Außerdem verfüge das Gericht über ein
Ermessen hinsichtlich prozeßleitender Maßnahmen, von dem es dadurch einen
fehlerhaften Gebrauch gemacht habe, daß es keine derartigen Maßnahmen
angeordnet habe. Wenn konkrete Anhaltspunkte für Verfahrensfehler vorgetragen
würden, so reduziere sich das dem Gericht nach Artikel 64 § 3 seiner
Verfahrensordnung eingeräumte Ermessen so weit, daß eine Beweisaufnahme
geboten sei, weil eine Verpflichtung zur Aufklärung bestehe. Ein Vergleich des
vorliegenden Rechtsstreits mit den PVC-Sachen zeige, daß das Gericht ohne
sachlichen Grund von seiner Praxis abgewichen sei und deshalb einen
Ermessensfehler begangen habe.
- 109.
- Das Gericht habe in dem angefochtenen Urteil ausgeführt, daß die von der
Rechtsmittelführerin gerügten Mängel nicht zur Inexistenz, sondern lediglich zur
Nichtigkeit der Entscheidung der Kommission führen könnten. Gerade darauf sei
aber ihr ursprünglicher Antrag gerichtet gewesen. Das Gericht habe also nicht von
der Prüfung absehen dürfen, ob die Sprachenregelung verletzt worden sei. Gleiches
gelte für die unbefugte Vornahme nachträglicher Änderungen oder das Fehlen der
Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs der Kommission. Soweit
das Gericht gemeint habe, daß sie nicht genügend konkrete Anhaltspunkte für eine
nachträgliche Änderung der Entscheidung vorgetragen habe, habe es ihre
Darlegungslast und die Erheblichkeit der in der mündlichen Verhandlung in den
PVC-Sachen vor dem Gericht bekanntgewordenen Tatsachen verkannt. Angesichts
ihrer rechtswidrigen ständigen Praxis trage die Kommission die Beweislast dafür,
daß ihre Entscheidung gültig gewesen sei und daß sie ausnahmsweise ihre
Geschäftsordnung beachtet habe.
- 110.
- Die Rechtsmittelführerin macht geltend, bei den zum Nachweis des Sachverhalts
geeigneten Schriftstücken handele es sich um interne Kommissionsakten und -dokumente. Das Gericht hätte daher der Kommission ihre Vorlage aufgeben
müssen. Da es dies nicht getan habe, habe es gegen die Artikel 21 der EG-Satzung
des Gerichtshofes und 64 § 3 Buchstabe d der Verfahrensordnung des Gerichts
verstoßen.
- 111.
- Die von ihr erhobenen Einwände seien entgegen der Ansicht der Kommission
keineswegs verspätet. Sie stützten sich nämlich auf neue, die Verwaltungspraxis der
Kommission betreffende Tatsachen, die weder ihr selbst noch dem Gericht vor der
mündlichen Verhandlung in den PVC-Sachen vor dem Gericht bekannt gewesen
seien. Auch für prozeßleitende Maßnahmen nach Artikel 64 § 3 der
Verfahrensordnung des Gerichts gebe es keine Ausschlußregel. Die Kommission
habe selbst zugestanden, daß die Rechtsmittelführerin einen Verstoß gegen Artikel
12 der Geschäftsordnung der Kommission konkret vorgetragen habe. Im übrigen
sei die Bezugnahme auf die Artikel 48 und 49 der Verfahrensordnung des Gerichtsschon deshalb verfehlt, weil es hier nicht um Sachvortrag gehe, der in den
Schriftsätzen möglich gewesen wäre.
- 112.
- Die Rechtsmittelführerin macht geltend, Artikel 21 der EG-Satzung des
Gerichtshofes sowie die Artikel 62 und 64 § 3 Buchstabe d der Verfahrensordnung
des Gerichts seien geeignet, ihre Interessen zu schützen, hätten also den Charakter
von Schutznormen, denn letztere bezögen sich unmittelbar auf den
Entscheidungsfindungsprozeß. Sie sollten der betroffenen Partei die
Geltendmachung nachträglich bekanntgewordener Tatsachen ermöglichen und
damit gewährleisten, daß das Gericht seine Entscheidung auf der Grundlage aller
entscheidungserheblichen Tatsachen erlasse. In der Rechtsprechung des
Gerichtshofes zu Artikel 61 seiner Verfahrensordnung werde gerade auf die
Entscheidungserheblichkeit der neuen Tatsachen Nachdruck gelegt. Dies gelte
ebenso für die Artikel 21 der EG-Satzung des Gerichtshofes und 64 § 3 Buchstabe
d der Verfahrensordnung des Gerichts. Hinzu komme, daß die genannten
Vorschriften das Grundrecht auf rechtliches Gehör schützen und sichern wollten,
insofern als sie sicherstellen sollten, daß die betroffene Partei sich nicht nur
hinsichtlich neuer entscheidungserheblicher Tatsachen an das Gericht wenden,
sondern auch zum vollständigen Sachverhalt Stellung nehmen könne.
- 113.
- Die Kommission macht geltend, aus Artikel 62 der Verfahrensordnung des Gerichts
ergebe sich für dieses entgegen der Ansicht der Rechtsmittelführerin keine Pflicht,
sondern nur eine Befugnis zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Das
Gericht habe in überzeugender Weise begründet, weshalb weder eine
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung noch eine Beweisaufnahme
erforderlich seien, weil weder ein entscheidungserheblicher Sachverhalt von Amts
wegen habe geklärt werden müssen, noch ein entscheidungserhebliches und
rechtzeitiges Tatsachenvorbringen zwischen den Parteien streitig gewesen sei.
- 114.
- Eine Aufklärung von Amts wegen wäre nur notwendig gewesen, wenn die Parteien
hinreichende Anhaltspunkte für die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung
vorgetragen hätten. Das Gericht habe die Frage des angeblichen Fehlens einer
Urschrift offengelassen, weil ein solcher Mangel keinesfalls hätte relevant sein
können. Seit dem Erlaß des PVC-Urteils des Gerichtshofes stehe fest, daß das
Fehlen einer Ausfertigung einer Entscheidung gemäß Artikel 12 der
Geschäftsordnung der Kommission zur Nichtigkeit und nicht zur Inexistenz der
angefochtenen Entscheidung führen könne. Da die Rechtsmittelführerin jedoch
eine auf Verletzung dieser Formvorschrift gestützte Rüge nicht hinreichend konkret
und nicht rechtzeitig erhoben habe, habe das Gericht der Frage, ob eine
ordnungsgemäß unterzeichnete Urschrift vorgelegen habe, auch unter dem
Gesichtspunkt der Nichtigkeit der Polypropylen-Entscheidung nicht nachzugehen
brauchen.
- 115.
- Der Antrag der Rechtsmittelführerin vom 4. März 1992 sei auf die Inexistenz und
nicht auf die Nichtigkeit der Polypropylen-Entscheidung gestützt gewesen. Auch
wenn man in diesem Antrag eine Nichtigkeitsrüge sehen wollte, sei diese nicht
hinreichend konkret und substantiiert sowie verspätet gewesen.
- 116.
- Das Gericht habe den Antrag der Rechtsmittelführerin vom 4. März 1992 geprüft,
sei aber zu der Auffassung gelangt, daß diese nicht rechtzeitig
entscheidungserhebliche Tatsachen vorgetragen habe. Das Gericht habe zu Recht
daran gezweifelt, daß die angeblichen Mängel der Polypropylen-Entscheidung
rechtzeitig in das Verfahren eingeführt worden seien. Es habe sich dabei auf
Artikel 48 § 2 seiner Verfahrensordnung bezogen, wonach neue Angriffs- oder
Verteidigungsmittel nach Abschluß des schriftlichen Verfahrens nur vorgebracht
werden könnten, wenn sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt würden,
die erst während des Verfahrens zutage getreten seien.
- 117.
- Das PVC-Urteil des Gerichts könne kein während des Verfahrens zutage
getretener Grund sein, da die Rechtsprechung zu Artikel 41 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes auch für Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des
Gerichts gelte. Nach dieser Rechtsprechung (Beschluß des Gerichts
BASF/Kommission, Randnr. 12, und Urteil des Gerichtshofes vom 19. März 1991
in der Rechtssache C-403/85 Rev., Ferrandi/Kommission, Slg. 1991, I-1215) sei ein
Urteil in einem anderen Verfahren kein Grund für ein Wiederaufnahmeverfahren.
- 118.
- Was die Erklärungen ihrer Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung in den
PVC-Sachen im November 1991 angehe, so sei die Rechtsmittelführerin in diesem
Verfahren vertreten gewesen und hätte diese Erklärungen bereits wesentlich früher
in das Polypropylen-Verfahren einführen können. Sie habe die Nichtigkeitsrüge
somit nicht rechtzeitig, sondern erst mehr als drei Monate später erhoben. Die
Kommission weist darauf hin, daß im analogen Fall eines
Wiederaufnahmeverfahrens nach Artikel 125 der Verfahrensordnung des Gerichts
eine Frist von drei Monaten nach dem Tag gelte, an dem der Antragsteller
Kenntnis von der von ihm angeführten Tatsache erhalten habe. Wegen des
Ausnahmecharakters des Artikels 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts seien
neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in angemessener Zeit vorzubringen, wenn
auch nicht ausdrücklich eine Frist vorgesehen sei.
- 119.
- Zu den angeblichen Verstößen gegen die Sprachenregelung und den von ihr
behaupteten nachträglichen Änderungen der Polypropylen-Entscheidung habe die
Rechtsmittelführerin nur Vermutungen angestellt, ohne konkrete Anhaltspunkte
vorzutragen oder eine konkrete Nichtigkeitsrüge zu erheben. In den PVC-Sachen
hätten die Klägerinnen konkrete Anhaltspunkte vorgetragen, die sich auf diese
Verfahren bezogen hätten. In dem Verfahren, das zum Erlaß des angefochtenen
Urteils geführt habe, habe nichts dergleichen stattgefunden.
- 120.
- Dagegen habe das Gericht zwar anerkannt, daß die Rechtsmittelführerin das
Fehlen einer Urschrift konkret behauptet habe. Aber auch diese konkrete
Behauptung habe das Gericht weder unter dem im angefochtenen Urteil
behandelten Gesichtspunkt der Inexistenz noch unter dem Gesichtspunkt der
Nichtigkeit der Polypropylen-Entscheidung zu einer Beweisaufnahme veranlassen
müssen. Das Gericht habe festgestellt, daß die Rechtsmittelführerin keine
konkreten Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Grundsatz der
Unantastbarkeit eines beschlossenen Rechtsakts vorgetragen habe. Überdies sei die
betreffende Rüge wegen Verstoßes gegen Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung
des Gerichts verspätet erhoben worden. Entgegen dem Vorbringen der
Rechtsmittelführerin habe das Gericht keineswegs anerkannt, daß die
Rechtsmittelführerin ihre Argumentation rechtzeitig vorgebracht habe. Vielmehr
habe es Zweifel daran geäußert, die Frage aber offengelassen, weil es dann unter
dem Gesichtspunkt der Prüfung von Amts wegen die Frage der Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung untersucht habe.
- 121.
- Zur angeblichen Verletzung einer Aufklärungspflicht durch das Gericht, die die
Rechtsmittelführerin in einer recht pauschalen Formulierung geltend mache, trägt
die Kommission vor, Artikel 64 § 3 Buchstabe d der Verfahrensordnung des
Gerichts lege nicht die Voraussetzungen für Anträge auf prozeßleitende
Maßnahmen fest. Aus den gleichen Gründen, aus denen das Gericht eine
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abgelehnt habe, habe das Gericht
auch von den von der Rechtsmittelführerin geforderten prozeßleitenden
Maßnahmen absehen können. Der Zweck solcher Maßnahmen, wie er in Artikel
64 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts beschrieben werde, bestehe nämlich
darin, die Vorbereitung der Entscheidungen und den Ablauf der Verfahren zu
gewährleisten; dagegen seien sie nicht dazu bestimmt, Versäumnisse des Klägers
beim Vorbringen seiner Klagegründe zu überspielen. Schließlich bestehe keine
Diskrepanz zwischen dem angefochtenen Urteil und den vom Gericht in den PVC-Sachen getroffenen prozeßleitenden Maßnahmen, da die prozessuale Situation in
diesen Rechtssachen nicht identisch gewesen sei.
- 122.
- Zunächst ist zu den prozeßleitenden Maßnahmen darauf hinzuweisen, daß der
Gerichtshof nach Artikel 21 seiner EG-Satzung von den Parteien die Vorlage aller
Urkunden und die Erteilung aller Auskünfte verlangen kann, die er für
wünschenswert hält. Nach Artikel 64 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts sollen
prozeßleitende Maßnahmen die Vorbereitung der Entscheidungen, den Ablauf der
Verfahren und die Beilegung der Rechtsstreitigkeiten unter den bestmöglichen
Bedingungen gewährleisten.
- 123.
- Nach Artikel 64 § 2 Buchstaben a und b der Verfahrensordnung des Gerichts
haben prozeßleitende Maßnahmen insbesondere zum Ziel, den ordnungsgemäßen
Ablauf des schriftlichen Verfahrens oder der mündlichen Verhandlung zu
gewährleisten und die Beweiserhebung zu erleichtern sowie die Punkte zu
bestimmen, zu denen die Parteien ihr Vorbringen ergänzen sollen oder die eine
Beweisaufnahme erfordern. Nach Artikel 64 §§ 3 Buchstabe d und 4 gehört zu
diesen Maßnahmen, die die Parteien in jedem Verfahrensstadium vorschlagen
können, die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen oder Beweisstücken.
- 124.
- Wie der Gerichtshof in dem oben angeführten Urteil Baustahlgewebe/Kommission,
Randnummer 93, entschieden hat, kann eine Partei beim Gericht beantragen, durch
eine prozeßleitende Maßnahme der Gegenpartei aufzugeben, in ihrem Besitz
befindliche Unterlagen vorzulegen.
- 125.
- Jedoch ergibt sich aus dem Zweck der prozeßleitenden Maßnahmen, wie er in
Artikel 64 §§ 1 und 2 der Verfahrensordnung des Gerichts dargelegt ist, daß diese
Maßnahmen in den Rahmen der verschiedenen Abschnitte des Verfahrens vor dem
Gericht eingefügt sind, deren Ablauf sie erleichtern sollen.
- 126.
- Daraus folgt, daß eine Partei nach dem Ende der mündlichen Verhandlung nur
dann noch prozeßleitende Maßnahmen beantragen kann, wenn das Gericht die
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließt. Daher hätte das Gericht
nur dann über einen solchen Antrag entscheiden müssen, wenn es dem Antrag auf
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung stattgegeben hätte. Es besteht daher
kein Anlaß zu einer gesonderten Prüfung der Rügen, die die Rechtsmittelführerin
insoweit erhoben hat.
- 127.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (u. a. Urteile vom 16. Juni 1971 in der
Rechtssache 77/70, Prelle/Kommission, Slg. 1971, 561, Randnr. 7, und vom 15.
Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr.
53) kann einem Antrag auf Beweisaufnahme, der nach dem Schluß der mündlichen
Verhandlung gestellt worden ist, nur stattgegeben werden, wenn er Tatsachen von
entscheidender Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits betrifft, die der
Betroffene nicht schon vor dem Ende der mündlichen Verhandlung geltend machen
konnte.
- 128.
- Das gleiche gilt für den Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
Zwar verfügt das Gericht nach Artikel 62 seiner Verfahrensordnung auf diesem
Gebiet über ein Ermessen. Es braucht einem solchen Antrag jedoch nur
stattzugeben, wenn die betroffene Partei sich auf Tatsachen von entscheidender
Bedeutung beruft, die sie nicht schon vor dem Ende der mündlichen Verhandlung
geltend machen konnte.
- 129.
- Im vorliegenden Fall war der vor dem Gericht gestellte Antrag auf
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme auf das
PVC-Urteil des Gerichts und Erklärungen der Bevollmächtigten der Kommission
in der mündlichen Verhandlung in den PVC-Sachen oder auf einer Pressekonferenz
nach Verkündung des genannten Urteils gestützt.
- 130.
- Die eine mutmaßliche Praxis der Kommission auf dem Gebiet der
Sprachenregelung oder bei nachträchlichen Änderungen betreffenden Hinweise
allgemeiner Art, die sich aus einem Urteil in anderen Rechtssachen oder aus
anläßlich anderer Verfahren abgegebenen Erklärungen ergaben, konnten als solche
nicht als entscheidend für den Ausgang des beim Gericht anhängigen Rechtsstreits
angesehen werden.
- 131.
- Zu der Rüge, daß es an einer durch die Unterschriften des Präsidenten und des
Generalsekretärs der Kommission festgestellten Urschrift der
Polypropylen-Entscheidung in allen verbindlichen Sprachen fehle, hat das Gericht
zwar festgestellt, daß die Rechtsmittelführerin sie in ihrem Antrag vom 4. März
1992 erhoben habe. Die Rechtsmittelführerin hat jedoch keine mit der
Polypropylen-Entscheidung verbundenen entscheidenden Tatsachen vorgetragen,
die eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gerechtfertigt hätten.
- 132.
- Außerdem hätte die Rechtsmittelführerin dem Gericht schon in ihrer Klageschrift
wie einige Kläger in den PVC-Sachen zumindest einen Anhaltspunkt für die
Sachdienlichkeit der prozeßleitenden Maßnahmen oder der Beweisaufnahme für
das Verfahren geben können, um nachzuweisen, daß die Polypropylen-Entscheidung unter Verstoß gegen die anzuwendende Sprachenregelung erlassen
oder nach ihrem Erlaß durch das Kommissionskollegium geändert worden war oder
aber daß es an Urschriften fehlt (dahin gehend Urteil Baustahlgewebe/Kommission,
Randnrn. 93 f.).
- 133.
- Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin hat das Gericht im
angefochtenen Urteil nicht entschieden, daß die im Antrag der Rechtsmittelführerin
vom 4. März 1992 angeführten Umstände rechtzeitig vorgetragen worden sind.
- 134.
- Im übrigen war das Gericht nicht gehalten, aufgrund einer angeblichen
Verpflichtung, Rügen in bezug auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zum Erlaß
der Polypropylen-Entscheidung von Amts wegen aufzugreifen, die mündliche
Verhandlung wiederzueröffnen. Eine solche Verpflichtung, den Ordre public
betreffende Rügen von Amts wegen aufzugreifen, könnte nämlich nur eventuell
aufgrund im Verfahren vorgetragener tatsächlicher Anhaltspunkte bestehen.
- 135.
- Somit ist festzustellen, daß das Gericht nicht dadurch einen Rechtsirrtum begangen
hat, daß es die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, den Erlaß
prozeßleitender Maßnahmen und die Anordnung einer Beweisaufnahme abgelehnt
hat.
- 136.
- Nach alledem sind der zweite Teil des Rechtsmittelgrundes der Verletzung des
Gemeinschaftsrechts und der Rechtsmittelgrund, mit dem Verfahrensfehler gerügt
werden, ebenfalls zurückzuweisen.
Zur Verletzung des Gemeinschaftsrechts bei der Feststellung und Überprüfung des vom
Gericht zu würdigenden Sachverhalts sowie bei der Beurteilung der individuellen
Verantwortlichkeit der an der Zuwiderhandlung Beteiligten und der Bemessung der
Geldbuße.
Allgemeines
- 137.
- Mit dem dritten Teil des Rechtsmittelgrundes der Verletzung des
Gemeinschaftsrechts beanstandet die Rechtsmittelführerin, daß das Gericht
Rechtsirrtümer bei der Feststellung und Überprüfung des Sachverhalts begangen
habe, die sich auf die Beurteilung der individuellen Verantwortlichkeit der an der
Zuwiderhandlung Beteiligten und auf die Bemessung der Geldbuße ausgewirkt
hätten.
- 138.
- Im Rechtsmittelverfahren sei die Beweiswürdigung der Beurteilung durch den
Gerichtshof insoweit nicht entzogen, als es um die rechtlichen Parameter der
Beweiserhebung, der Beweisverwertung und der Beweiswürdigung sowie um Fragen
der Beweislast und des Beweismaßes gehe.
- 139.
- Die Beweiswürdigung unterliege demnach einer Kontrolle darauf hin, ob das
Gericht gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungsregeln
beachtet und richtig angewendet habe. Darüber hinaus sei auch zu prüfen, ob die
festgestellten Tatsachen die gezogenen Schlußfolgerungen rechtfertigten. In
Wettbewerbssachen müßten die von der Kommission vorgebrachten
Tatsachenbehauptungen die daraus gezogenen Schlußfolgerungen stützen. In bezug
auf das Beweismaß genüge es, sei aber auch erforderlich, daß sich der tatsächliche
Sachverhalt aus hinreichend gewichtigen, klaren und übereinstimmenden Indizien
ableiten lasse, die nicht durch Gegenindizien entkräftet würden. Ferner seien die
Indizien in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der Besonderheiten des
betreffenden Marktes zu würdigen.
- 140.
- Die Grundlage dieser Anforderungen sei die Unschuldsvermutung, die in Artikel
6 Absatz 2 der auch im Rahmen der Gemeinschaftsrechtsordnung zu beachtenden
Europäischen Menschenrechtskonvention kodifiziert sei. In Rechtsmittelverfahren
sei eine Verletzung der Unschuldsvermutung jedenfalls dann anzunehmen, wenn
ein Urteil des Gerichts bei der Feststellung und Überprüfung des Sachverhalts zu
Ergebnissen komme, die mit dem Vortrag der Partei unvereinbar seien und ihm
nicht in der gebotenen Weise Rechnung trügen oder wenn die bewiesenen
Tatsachen für die weitreichenden tatsächlichen Schlußfolgerungen, die darauf
basierten, nicht hinreichend tragfähig seien. Entscheidungen, die solche
Rechtsfehler aufwiesen, seien gemäß Artikel 54 Absatz 1 der EG-Satzung des
Gerichtshofes aufzuheben, weil die Voraussetzungen des Artikels 51 Absatz 1
dieser Satzung erfüllt seien.
Zur Teilnahme an den regelmäßigen Sitzungen
- 141.
- Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe in den Randnummern
114 bis 129 des angefochtenen Urteils zu Unrecht angenommen, daß sie ab Ende
1978 oder Anfang 1979 regelmäßig an den Sitzungen der Hersteller teilgenommen
habe. Der Auszug aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen der
Kommission, auf den das Gericht seine Feststellung einer regelmäßigen Teilnahme
der Rechtsmittelführerin an den Sitzungen gestützt habe, enthalte keinerlei Aussage
über die Dauer dieser Teilnahme. Aus dem Begriff „regular participant“ lasse sich
nicht ableiten, während welches Zeitraums ein Unternehmen an den Sitzungen
teilgenommen habe. Das Gericht habe somit den mangelnden Beweiswert der
Aussage von ICI verkannt und die an eine Beweiswürdigung zu stellenden
Anforderungen verletzt.
- 142.
- Die in Randnummer 115 des angefochtenen Urteils erwähnten Tabellen stellten ein
höchst zweifelhaftes Beweismittel dar und ermöglichten keinen Schluß auf die
Dauer der Teilnahme an Sitzungen. Aus ihnen sei nicht zu ersehen, wer sie unter
Verwendung welcher Quellen erstellt habe. Die in ihnen genannten Zahlen könnten
nicht als Verkaufszahlen qualifiziert werden, denn es sei nicht auszuschließen, daß
es sich nur um einen der vielen Vorschläge für ein Volumenkontrollsystem
gehandelt habe. Diese Tabellen hätten auf verschiedene Weise zustande gekommen
sein können, ohne daß Sitzungen stattgefunden hätten; als Quelle habe
möglicherweise das Fides-System gedient. Sie stellten also keinesfalls einen Beweis
für Sitzungen dar.
- 143.
- Das Gericht habe sich nur auf eine allgemein und im Konjunktiv gehaltene
Erklärung in englischer Sprache gestützt, die in der deutschen Übersetzung
fehlerhaft wiedergegeben worden sei. Die Aussage von ICI betreffe nur eine der
Tabellen und beweise daher nicht, daß die in der Tabelle zur Festsetzung des
Quotensystems für 1979 enthaltenen Angaben von ihr stammten.
- 144.
- Wenn das Gericht meine, daß eine unvollständige Antwort der Rechtsmittelführerin
auf das Auskunftsverlangen und ihre Teilnahme an Sitzungen in den Jahren 1982
und 1983 die Auffassung stützten, daß sie regelmäßig an regelmäßigen Sitzungen
teilgenommen habe, so genüge demgegenüber der Hinweis, daß die Teilnahme an
Sitzungen in den Jahren 1982 und 1983 nichts über ihr Verhalten vier bis fünf
Jahre zuvor besage.
- 145.
- Die Rechtsmittelführerin macht geltend, es habe keinerlei Absprachen, sondern
allenfalls abgestimmte Verhaltensweisen gegeben, die eine Abstimmung zwischen
den Unternehmen, ein dieser entsprechendes Marktverhalten und einen
ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden voraussetzten. Selbst wenn man
einmal unterstelle, daß ihre gelegentliche Teilnahme an Sitzungen zu einer
Abstimmung geführt habe, fehle es an einem entsprechenden Marktverhalten
ihrerseits.
- 146.
- Die Rechtsmittelführerin gelangt zu dem Ergebnis, daß das Gericht unter Verstoß
gegen die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze für das Beweismaß und die
Beweiswürdigung auf einer nicht tragfähigen tatsächlichen Grundlage eine
Teilnahme der Rechtsmittelführerin an regelmäßigen Sitzungen seit 1978 und 1979
festgestellt habe, obwohl der Nachweis für eine solche Teilnahme nur für eine
Sitzung im Jahr 1981 und anschließend für 1982 und 1983 geführt worden sei.
Selbst für die Zeit von 1981 bis 1983 habe das Gericht nur unter Verkennung der
Grundsätze für die Beweislast zu der Feststellung gelangen können, daß die
Rechtsmittelführerin an den Sitzungen mit dem Ziel teilgenommen habe, die
Festsetzung von Preisen und Verkaufsmengen zu erreichen. Denn in Randnummer
126 des angefochtenen Urteils werde ihr ein Entlastungsbeweis abverlangt, der der
Unschuldsvermutung widerspreche. Dies sei mit den gemeinschaftsrechtlichen
Grundsätzen unvereinbar. Nicht sie selbst, sondern die Kommission trage die
Beweislast. Ihre Nichtteilnahme an den Sitzungen sei im übrigen eine negative
Tatsache, die sie nicht beweisen könne.
- 147.
- Die Kommission entgegnet, es treffe nicht zu, daß die Auskunft von ICI das einzige
Indiz dafür gewesen sei, daß die Rechtsmittelführerin seit Ende 1978 oder Anfang
1979 an den Sitzungen teilgenommen habe. Sie sei vielmehr in Kombination
insbesondere mit der in Randnummer 115 des angefochtenen Urteils erwähnten
Tabelle zur Festsetzung der Quoten für 1979 zu sehen, in der die
Rechtsmittelführerin mit einer Quote genannt werde, die auf Angaben beruhe, die
nur von ihr stammen könnten.
- 148.
- Das Gericht habe auch keinen Unschuldsbeweis von der Rechtsmittelführerin
verlangt, sondern nur dargelegt, daß es keine hinreichenden Anhaltspunkte für den
von der Rechtsmittelführerin behaupteten ungewöhnlichen Handlungsablauf gebe,
wonach diese an den Sitzungen teilgenommen haben wolle, ohne die dort
vereinbarten wettbewerbswidrigen Handlungen mittragen zu wollen. Aus den
Randnummern 116 und 117 des angefochtenen Urteils ergebe sich außerdem, daß
das Gericht aufgrund des Verhaltens der Rechtsmittelführerin deren Behauptungen
ein geringeres Gewicht beigemessen habe als den Angaben, auf die die Kommission
ihre Entscheidung gestützt habe. Es liege somit kein Rechtsverstoß und schon gar
kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung im Sinne von Artikel 6 der
Europäischen Menschenrechtskonvention vor.
- 149.
- In diesem Zusammenhang ist anzuerkennen, daß die Unschuldsvermutung, wie sie
sich insbesondere aus Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen
Menschenrechtskonvention ergibt, zu den Grundrechten gehört, die nach ständiger
Rechtsprechung des Gerichtshofes, die im übrigen durch die Präambel der
Einheitlichen Europäischen Akte und durch Artikel F Absatz 2 des Vertrages über
die Europäische Union erneut bekräftigt wurde, in der Gemeinschaftsrechtsordnung
geschützt werden (dahin gehend Urteil Bosman, Randnr. 79).
- 150.
- Ferner ist anzuerkennen, daß der Grundsatz der Unschuldsvermutung angesichts
der Art der fraglichen Zuwiderhandlungen sowie der Art und der Schwere der für
sie verhängten Sanktionen in Verfahren wegen der für die Unternehmen geltenden
Wettbewerbsregeln anwendbar ist, die zur Verhängung von Geldbußen oder
Zwangsgeldern führen können (dahin gehend u. a. die Urteile des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte vom 21. Februar 1984 in der Rechtssache
Öztürk, Serie A, Bd. 73, und vom 25. August 1987 in der Rechtssache Lutz,
Serie A, Bd. 123-A).
- 151.
- Zur Stichhaltigkeit der Rügen der Rechtsmittelführerin ist erstens festzustellen, daß
das Gericht entgegen deren Vorbringen festgestellt hat, daß die Antwort von ICI
bezüglich der Teilnahme der Rechtsmittelführerin an den regelmäßigen Sitzungen
anderweitig, so z. B. durch die in Randnummer 115 des angefochtenen Urteils
angeführten Tabellen, bestätigt werde.
- 152.
- Zweitens gehört die Frage, welches Gewicht diesen Tabellen, der erwähnten
Antwort von ICI und der Antwort der meisten Klägerinnen auf eine schriftliche
Frage des Gerichts beizumessen ist, denen zufolge die genannten Tabellen nicht auf
der Grundlage der Statistiken des Fides-Systems erstellt worden sein können, zur
Beweiswürdigung und kann nicht im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens vom
Gerichtshof geprüft werden.
- 153.
- Drittens hat das Gericht aufgrund der von ihm festgestellten Anhaltspunkte bei der
Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Erklärungen, mit denen die
Rechtsmittelführerin ihre Teilnahme an anderen Sitzungen während der
vorausgehenden Jahre bestritt, Dinge berücksichtigen können, durch die bewiesen
wurde, daß die Rechtsmittelführerin entgegen ihren Angaben in ihrer Antwort auf
das Auskunftsverlangen an verschiedenen Sitzungen in den Jahren 1982 und 1983
teilgenommen hatte.
- 154.
- Viertens ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission bei Streitigkeiten über das
Vorliegen von Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln die von ihr festgestellten
Zuwiderhandlungen zu beweisen und die Beweismittel beizubringen hat, durch die
das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich
hinreichend bewiesen wird (Urteil Baustahlgewebe/Kommission, Randnr. 58).
- 155.
- Da die Kommission aber hatte nachweisen können, daß die Rechtsmittelführerin
an Sitzungen mit offensichtlich wettbewerbswidrigen Zwecken teilgenommen hatte,
oblag es dieser, Umstände darzutun, aus denen sich eindeutig ihre fehlende
wettbewerbswidrige Einstellung bei der Teilnahme an den Sitzungen ergibt, und
nachzuweisen, daß sie ihre Wettbewerber auf ihre andere Zielsetzung hingewiesen
hat. Das Gericht hat daher in Randnummer 126 des angefochtenen Urteils nicht
unzulässigerweise die Beweislast umgekehrt.
- 156.
- Fünftens beruht schließlich das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, daß es an
einem Nachweis für ein der Abstimmung zwischen den Unternehmen
entsprechendes Marktverhalten und für wettbewerbsbeschränkende Wirkungen
fehle, auf einer irrigen Vorstellung von den Anforderungen an den Nachweis einer
abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG.
- 157.
- Das Gericht hat nämlich in Randnummer 129 des angefochtenen Urteils
ausgeführt, daß die Kommission die regelmäßigen Sitzungen der
Polypropylenhersteller, an denen die Rechtsmittelführerin zwischen Ende 1978 oder
Anfang 1979 und September 1983 teilgenommen habe, vorsorglich zu Recht als
aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG
eingestuft habe.
- 158.
- Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes handelt es sich bei der
abgestimmten Verhaltensweise um eine Form der Koordinierung zwischen
Unternehmen, die zwar noch nicht bis zum Abschluß eines Vertrages imeigentlichen Sinn gediehen ist, jedoch bewußt eine praktische Zusammenarbeit an
die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten läßt (Urteile vom 16.
Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73,
113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnr. 26, und
vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1307,
Randnr. 63).
- 159.
- Wie der Gerichtshof weiter ausgeführt hat, sind die Kriterien der Koordinierung
und der Zusammenarbeit im Sinne des Grundgedankens der
Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen, wonach jeder Unternehmer
selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu
betreiben gedenkt (Urteile Suiker Unie u. a./Kommission, Randnr. 173, vom 14.
Juli 1981 in der Rechtssache 172/80, Züchner, Slg. 1981, 2021, Randnr. 13, sowie
Ahlström u. a./Kommission, Randnr. 63, und Deere/Kommission, Randnr. 86).
- 160.
- Nach dieser Rechtsprechung nimmt dieses Selbständigkeitspostulat den
Unternehmen zwar nicht das Recht, sich dem festgestellten oder erwarteten
Verhalten ihrer Konkurrenten auf intelligente Weise anzupassen; es steht jedoch
streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen
entgegen, durch die entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder
potentiellen Wettbewerbers beeinflußt oder ein solcher Wettbewerber über das
Marktverhalten, zu dem man selbst entschlossen ist oder das man in Erwägung
zieht, ins Bild gesetzt wird, wenn die Fühlungnahme bezweckt oder bewirkt, daß
Wettbewerbsbedingungen entstehen, die im Hinblick auf die Art der Waren oder
erbrachten Dienstleistungen, die Bedeutung und Zahl der beteiligten Unternehmen
sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht dessen normalen
Bedingungen entsprechen (dahin gehend die Urteile Suiker Unie u. a./Kommission,
Randnr. 174, Züchner, Randnr. 14, und Deere/Kommission, Randnr. 87).
- 161.
- Demzufolge setzt zum einen der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise, wie
sich unmittelbar aus Artikel 81 Absatz 1 EG ergibt, über die Abstimmung zwischen
den Unternehmen hinaus ein dieser entsprechendes Marktverhalten und einen
ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden voraus.
- 162.
- Jedoch gilt vorbehaltlich des den betroffenen Unternehmen obliegenden
Gegenbeweises die Vermutung, daß die an der Abstimmung beteiligten und
weiterhin auf dem Markt tätigen Unternehmen die mit ihren Wettbewerbern
ausgetauschten Informationen bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens
berücksichtigen. Dies gilt um so mehr, wenn die Abstimmung während eines langen
Zeitraums regelmäßig stattfindet, wie es nach den Feststellungen des Gerichts hier
der Fall war.
- 163.
- Zum anderen fällt entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin eine
abgestimmte Verhaltensweise im vorstehend umschriebenen Sinn selbst dann unter
Artikel 81 Absatz 1 EG, wenn auf dem Markt keine wettbewerbswidrigen
Wirkungen eintreten.
- 164.
- Aus der genannten Vorschrift ergibt sich unmittelbar, daß aufeinander abgestimmte
Verhaltensweisen so, wie es bei Vereinbarungen zwischen Unternehmen und
Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen der Fall ist, unabhängig von ihrer
Wirkung verboten sind, wenn mit ihnen ein wettbewerbswidriger Zweck verfolgt
wird.
- 165.
- Ferner setzt der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise zwar ein
Marktverhalten der beteiligten Unternehmen voraus, verlangt aber nicht
notwendigerweise, daß dieses Verhalten sich konkret in einer Einschränkung,
Verhinderung oder Verfälschung des Wettbewerbs auswirkt.
- 166.
- Schließlich ist die hier vorgenommene Auslegung nicht mit dem restriktiven
Charakter des Verbots nach Artikel 81 Absatz 1 EG unvereinbar (Urteil vom 29.
Februar 1968 in der Rechtssache 24/67, Parke Davis, Slg. 1968, 85, 112), da sie
keineswegs den Anwendungsbereich dieser Vorschrift ausdehnt, sondern deren
wörtlichem Sinn entspricht.
- 167.
- Somit hat das Gericht entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin nicht
gegen die Grundsätze der Beweislastverteilung verstoßen, als es annahm, daß die
Kommission die Teilnahme der Rechtsmittelführerin an einer auf die
Einschränkung des Wettbewerbs gerichteten Abstimmung zwischen den
Polypropylenherstellern bewiesen habe und daher keinen Beweis dafür zu erbringen
gebraucht habe, daß diese Abstimmung sich im Marktverhalten niedergeschlagen
oder aber wettbewerbsbeschränkend ausgewirkt habe. Vielmehr oblag der
Rechtsmittelführerin der Nachweis dafür, daß die Abstimmung sich in keiner Weise
auf ihr Marktverhalten ausgewirkt hat.
- 168.
- Ohne daß alle Aspekte der Auslegung von Artikel 81 Absatz 1 EG durch das
Gericht zu prüfen sind, genügt angesichts dessen die Feststellung, daß das Gericht
mit seiner Ansicht, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen sei, daß die
Rechtsmittelführerin regelmäßig an regelmäßigen Sitzungen der
Polypropylenhersteller zwischen Ende 1978 oder Anfang 1979 und September 1993
teilgenommen habe, daß Zweck dieser Sitzungen namentlich die Festsetzung von
Preis- und Verkaufsmengenzielen gewesen sei und daß die Sitzungen Teil eines
Systems gewesen seien, keineswegs gegen die Unschuldsvermutung oder die
Beweisregeln verstoßen hat. Die dahin gehenden Rügen der Rechtsmittelführerin
sind somit zurückzuweisen.
Zu den Preisinitiativen
- 169.
- Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe auch in den
Randnummern 166 bis 177 des angefochtenen Urteils die Anforderungen an
Beweiswürdigung und Beweismaß verkannt und Schlußfolgerungen allgemeiner Art
gezogen, die nicht von tatsächlichen Feststellungen getragen würden. Ohne auf die
Tatsache einzugehen, daß die Rechtsmittelführerin nur vereinzelt und zeitlich
begrenzt an Sitzungen teilgenommen habe, in denen Preisfragen erörtert worden
seien, habe das Gericht die pauschale Vermutung aufgestellt, daß sie an
regelmäßigen Sitzungen der Hersteller teilgenommen habe, in denen Preisinitiativen
vereinbart worden seien.
- 170.
- Wenn das Gericht darüber hinaus aufgrund dieser Teilnahme an Sitzungen ihre
Zustimmung zu Preisinitiativen und deren Umsetzung unterstellt und ihr den
Beweis für das Gegenteil aufgebürdet habe, so habe es rechtswidrigerweise von ihr
den Beweis ihrer Unschuld verlangt. Im übrigen habe das Gericht verkannt, daß
entlastende Umstände die in Randnummer 168 des angefochtenen Urteils
aufgestellte betreffende Vermutung widerlegten.
- 171.
- Ferner macht die Rechtsmittelführerin geltend, selbst wenn sie an Sitzungen
teilgenommen habe, habe sie nur in drei Fällen zwischen Juli und November 1982
Preisinstruktionen erteilt, durch die die Beratungen der Sitzungen aufgegriffen
worden seien, wobei diese Instruktionen rein interner Art gewesen und nie an die
Kunden herausgegangen seien. Sie habe die fraglichen Initiativen somit niemals
umgesetzt. Dies sei von entscheidender Bedeutung für die Annahme, daß es
keinerlei Absprachen zwischen den Herstellern gegeben habe, sondern allenfalls
eine abgestimmte Verhaltensweise. Denn dann fehle es an einem der Abstimmung
entsprechenden Marktverhalten ihrerseits. Die Wirkungen der genannten internen
Preisinitiativen seien somit gleich Null gewesen, da die Verkaufsabteilungen sie
nicht an die Kunden weitergegeben hätten. Sie habe eine eigenständige Preispolitik
betrieben und gemäß ihren eigenen Interessen in ihrer Investitionspolitik auf
Spezialprodukte gesetzt, um Abstand von den verlustträchtigen Massenprodukten
zu gewinnen.
- 172.
- Mit der Beschränkung seiner Feststellungen auf die Zeit nach 1982 gestehe das
Gericht ein, daß für die vorausgehende Zeit keinerlei Beweise gegen sie vorlägen,
was bei der Bußgeldfestsetzung hätte berücksichtigt werden müssen. Die bewußt
unpräzisen Schlußfolgerungen in dem angefochtenen Urteil stünden im
Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen und verstießen gegen die
Begründungspflicht. Das Gericht habe im übrigen wenig tragfähige Indizien
offensichtlich überdehnt, indem es aus einem Geständnis von ICI auf ein individuell
der Rechtsmittelführerin vorwerfbares Verhalten geschlossen habe. Aus der bloßen
Teilnahme an vereinzelten Sitzungen könne nicht auf ihre Beteiligung an
Preisabsprachen durch die Umsetzung der Ergebnisse dieser Absprachen
geschlossen werden.
- 173.
- Die Kommission verweist auf ihre Argumentation zur Teilnahme der
Rechtsmittelführerin an den Sitzungen und macht geltend, daß derjenige, der sich
auf einen völlig atypischen Geschehensablauf berufen wolle, konkrete
Anhaltspunkte für diesen Geschehensablauf beibringen müsse. Rein pauschale
Behauptungen über eine Mentalreservation und eine Täuschungsabsicht reichten
dafür nicht aus. Das Gericht habe zu Recht darauf hingewiesen, daß die
Preisinstruktionen der Rechtsmittelführerin nicht nur von interner Bedeutung
gewesen seien. Zur Beweiskraft der Auskunft von ICI meint die Kommission, es
handele sich um eine Frage der Beweiswürdigung; diese Rüge sei im
Rechtsmittelverfahren unzulässig.
- 174.
- Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß das Gericht ohne unzulässige Umkehrung
der Beweislast zu Recht angenommen hat, da der Kommission der Beweis gelungen
sei, daß die Rechtsmittelführerin an Sitzungen teilgenommen habe, in denen
Preisinitiativen beschlossen, organisiert und kontrolliert worden seien, obliege es
der Rechtsmittelführerin, ihr Vorbringen zu beweisen, daß sie diesen Initiativen
nicht zugestimmt habe.
- 175.
- Ferner steht es im Rechtsmittelverfahren dem Gerichtshof nicht zu, die Beurteilung
in Frage zu stellen, die das Gericht in Randnummer 173 des angefochtenen Urteils
bezüglich des Umstands vorgenommen hat, daß durch die vom Hauptsitz der
Rechtsmittelführerin an die Verkaufsabteilungen gerichteten Preisinstruktionen
Außenwirkungen hätten erzeugt werden sollen.
- 176.
- Schließlich ist das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, mit dem sie darzutun
versucht, daß ihr Marktverhalten von den Preisinitiativen unabhängig gewesen sei
oder daß die Feststellungen des Gerichts dazu nur einen Teil des in der
Polypropylen-Entscheidung angesprochenen Zeitraums beträfen, unerheblich.
- 177.
- Denn das Gericht hat in Randnummer 291 des angefochtenen Urteils festgestellt,
daß die Kommission die Willensübereinstimmungen zwischen der
Rechtsmittelführerin und anderen Polypropylenherstellern, die u. a. auf
Preisinitiativen gerichtet gewesen seien, zu Recht als Vereinbarungen im Sinne von
Artikel 81 Absatz 1 EG angesehen habe.
- 178.
- Nach ständiger Rechtsprechung brauchen bei der Anwendung von Artikel 81
Absatz 1 EG die tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung nicht
berücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, daß diese eine Verhinderung,
Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt (Urteil vom 13. Juli
1966 in den Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg.
1966, 321, 390; dahin gehend auch die Urteile vom 11. Januar 1990 in der
Rechtssache C-277/87, Sandoz prodotti farmaceutici/Kommission, Slg. 1990, I-45,
und vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-219/95 P, Ferriere Nord/Kommission,
Slg. 1997, I-4411, Randnrn. 14 f.).
- 179.
- Somit ist nicht ersichtlich, daß das Gericht gegen die Beweisregeln oder die ihm
obliegende Begründungspflicht verstoßen hätte, als es ausführte, der Kommission
sei rechtlich der Beweis gelungen, daß die Rechtsmittelführerin zu den
Polypropylenherstellern gehört habe, zwischen denen es zu
Willensübereinstimmungen gekommen sei, die auf die in der Polypropylen-Entscheidung genannten Preisinitiativen gerichtet gewesen seien, daß diese
Preisinitiativen Teil eines Systems gewesen seien und daß ihre Wirkungen bis zum
November 1983 angehalten hätten. Somit sind die Rügen der Rechtsmittelführerin
gegen diesen Teil des angefochtenen Urteils zurückzuweisen.
Zu den Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen
- 180.
- Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe in den Randnummern
189 bis 199 und insbesondere 190 des angefochtenen Urteils zu Unrecht festgestellt,
daß sie in Anbetracht ihrer Teilnahme an bestimmten Sitzungen auch Maßnahmen
zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen zugestimmt habe; doch habe
das Gericht nicht dargelegt, um welche Maßnahmen es sich handele, wer wann an
ihnen beteiligt gewesen sei und in welcher Weise die Vorwürfe bewiesen worden
seien. Ihre Beteiligung an diesem Komplex von Maßnahmen ergebe sich daraus,
daß sie nichts zum Beweis des Gegenteils vorgetragen habe. Eine derartige
Argumentation genüge nicht den Anforderungen an eine Begründung, aber auch
nicht den Erfordernissen einer Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der von
ihr vorgetragenen rechtlichen Argumente und des ihnen zugrunde liegenden
Sachverhalts.
- 181.
- Zur Kundenführerschaft („account leadership“) trägt die Rechtsmittelführerin vor,
daß es nur Vorschläge und Erörterungen gegeben habe, ohne daß es zu derartigen
Absprachen gekommen sei. Aus den von der Kommission vorgelegten Unterlagen
lasse sich nichts über die Durchführung eines Systems der Kundenführerschaft
entnehmen. Die Wortwahl des Gerichts belege, daß keine bindende Absprache
umgesetzt worden sei, sondern daß es überhaupt nicht zu einer Einigung
gekommen sei. Dies beweise auch, daß die Hersteller zu bindenden Verabredungen
über wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen und deren Umsetzung nicht bereit
gewesen seien und in der Haltung einer Mischung von Mentalreservation undFehlinformation an den Sitzungen teilgenommen hätten. Bei der in Randnummer
191 des angefochtenen Urteils zitierten Textstelle handele es sich nur um eine
Darstellung der generellen Probleme betreffend „customer tourism“; sie sei nicht
geeignet, die Feststellungen des Gerichts über eine Zuweisung von Kunden an
bestimmte Hersteller und deren Bestimmung zu Kundenführern zu untermauern.
In diesem Zusammenhang trägt die Rechtsmittelführerin vor, sie sei weder von der
Menge noch vom Preis her der „leader“ der ihr angeblich zugewiesenen vier
Kunden gewesen, selbst wenn sie sie im Einzelfall beliefert habe. Ein solches
differenziertes Belieferungsverhalten stehe der Annahme eines von ihr ausgeübten
„account leadership“ diametral entgegen.
- 182.
- Die Kommission entgegnet, Randnummer 190 des angefochtenen Urteils sei in dem
Zusammenhang zu sehen, in dem er stehe. Die Darlegungen der
Rechtsmittelführerin zur Nichtverwirklichung des Kundenführungssystems stünden
im Widerspruch zu dem Beweismaterial, aus dem das Gericht in den
Randnummern 192 und 193 zitiere; daraus ergebe sich, daß das System zwei
Monate lang jedenfalls teilweise, wenn auch nicht zur Zufriedenheit der Beteiligten,
zur Ausführung gebracht worden sei.
- 183.
- Hierzu ist lediglich festzustellen, daß das Gericht entgegen dem Vorbringen der
Rechtsmittelführerin in den Randnummern 190 bis 192 und 197 f. des
angefochtenen Urteils eine ausreichende Begründung zum Vorliegen und der Art
der Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen sowie zu der
Frage gegeben hat, welche Unternehmen sich an diesen Maßnahmen beteiligt
haben.
- 184.
- Die Beweiswürdigung durch das Gericht, insbesondere hinsichtlich der Berichte
über Sitzungen und der Antworten von ICI und der Rechtsmittelführerin auf das
Auskunftsverlangen, ist der Überprüfung durch den Gerichtshof im
Rechtsmittelverfahren entzogen.
- 185.
- Aus den in Randnummer 177 dieses Urteils dargelegten Gründen ist das
Vorbringen, mit dem die Rechtsmittelführerin darzutun versucht, daß sie das
System der Kundenführerschaft nicht durchgeführt habe, nicht stichhaltig, da das
Gericht in Randnummer 291 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, daß die
Kommission die Willensübereinstimmungen zwischen der Rechtsmittelführerin und
anderen Polypropylenherstellern, die auf Maßnahmen zur Förderung der
Durchführung der Preisinitiativen gerichtet gewesen seien, zu Recht als
Vereinbarungen im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG eingestuft habe.
- 186.
- Somit hat das Gericht nicht gegen die anzuwendenden Beweisregeln oder die ihm
obliegende Begründungspflicht verstoßen, als es ausführte, der Kommission sei
rechtlich der Beweis gelungen, daß die Rechtsmittelführerin zu den
Polypropylenherstellern gehöre, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen
über die Maßnahmen gekommen sei, mit denen die Durchführung der in der
Polypropylen-Entscheidung genannten Preisinitiativen habe gefördert werden sollen.
Somit greifen die dagegen gerichteten Rügen der Rechtsmittelführerin ebenfalls
nicht durch.
Zu den Absatzzielen und den Quoten
- 187.
- Zu den Absatzzielen und den Quoten, auf die sich die Randnummern 231 bis 261
des angefochtenen Urteils beziehen, trägt die Rechtsmittelführerin vor, das Gericht
habe sich zunächst auf die unrichtige Feststellung gestützt, daß sie regelmäßig an
den regelmäßigen Sitzungen der Hersteller teilgenommen habe. Es habe sodann
festgestellt, daß ihr Name in verschiedenen Tabellen genannt sei, und sie habe
damit suggeriert, daß diese Namensnennung ein zusätzliches, über die Teilnahme
an den Sitzungen hinausgehendes Indiz sei. Das Gericht habe aus der Nennung
ihres Namens in unzutreffender Weise auf ihre regelmäßige Teilnahme an den
regelmäßigen Sitzungen geschlossen und so den falschen Eindruck erweckt, daß es
eine Reihe von Anhaltspunkten für ihre Beteiligung gebe, obschon alle Vorwürfe
allein auf die Nennung ihres Namens in bestimmten Tabellen zurückgeführt worden
seien. Diese Tabellen, von denen weder erkennbar sei, von wem noch wann sie
gefertigt worden seien, belegten kein wettbewerbswidriges Verhalten.
- 188.
- Die Kommission entgegnet, das angefochtene Urteil enthalte eine ausführliche
Beweiswürdigung. Die Rechtsmittelführerin ignoriere in ihrer Kritik insoweit die
vorhandenen Beweismittel. Die Rüge sei unzulässig, da sie sich auf die
Beweiswürdigung beziehe, und sie sei unbegründet, da sie im Widerspruch zu dem
vorhandenen und vom Gericht ausführlich gewürdigten Beweismaterial stehe.
- 189.
- Hierzu ist lediglich festzustellen, daß die Rügen der Rechtsmittelführerin aus den
in den Randnummern 151 bis 167 dieses Urteils angeführten Gründen
zurückzuweisen sind, soweit sie sich auf die Feststellungen des Gerichts über die
Teilnahme der Rechtsmittelführerin an den regelmäßigen Sitzungen beziehen.
- 190.
- Soweit die Rügen der Rechtsmittelführerin die Beweiswürdigung durch das Gericht,
insbesondere hinsichtlich der Sitzungsteilnehmertabellen, betreffen, sind sie im
Rechtsmittelverfahren unzulässig.
- 191.
- Somit ist nicht ersichtlich, daß das Gericht gegen die anzuwendenden Beweisregeln
oder die ihm obliegende Begründungspflicht verstoßen hätte, als es ausführte, der
Kommission sei rechtlich der Beweis gelungen, daß die Rechtsmittelführerin zu den
Polypropylenherstellern gehört habe, zwischen denen es zu
Willensübereinstimmungen über die in der Polypropylen-Entscheidung genannten
Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979 und 1980 und die erste Hälfte des Jahres
1983 und über die dort genannte Begrenzung ihrer Verkäufe für die Jahre 1981
und 1982 im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum gekommen sei,
die Teil eines Quotensystems gewesen seien. Auch insoweit sind die Rügen der
Rechtsmittelführerin zurückzuweisen.
Die individuelle Verantwortlichkeit der an einer Zuwiderhandlung Beteiligten und
die Bemessung der Geldbuße
- 192.
- Schließlich trägt die Rechtsmittelführerin vor, das Gericht habe nicht genau
festzustellen vermocht, in welchem zeitlichen und sachlichen Umfang jedes einzelne
Unternehmen beteiligt gewesen sei. Jedem von mehreren Unternehmen, die an
einer Verletzung von Artikel 81 EG beteiligt gewesen seien, müsse die Beteiligung
an jedem einzelnen Teilakt mit derselben Sicherheit nachgewiesen werden wie
einem Einzeltäter. Jeder einzelne sei nämlich nur in dem genau bewiesenen
Umfang seiner eigenen Beteiligung verantwortlich.
- 193.
- Insbesondere müsse eine Geldbuße individuell nach den „mitwirkungsbezogenen“
Tatsachen berechnet werden. Die Kommission und das Gericht hätten diese
Grundsätze nicht beachtet, insbesondere als sie die Geldbuße gemäß dem Umsatz
der Rechtsmittelführerin festgesetzt hätten, ohne dabei den Besonderheiten ihrer
Situation Rechnung zu tragen.
- 194.
- Wie sich aus den Ausführungen weiter oben ergibt, hat das Gericht entgegen dem
Vorbringen der Rechtsmittelführerin keinen Rechtsirrtum begangen, als es dieser
die Beteiligung an der fraglichen Zuwiderhandlung anlastete oder die Dauer und
das Gewicht dieser Beteiligung beurteilte.
- 195.
- Nach ständiger Rechtsprechung (u. a. die Urteile vom 7. Juni 1983 in den
Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique Diffusion Française u. a./Kommission, Slg.
1983, 1825, Randnr. 120, und vom 12. November 1985 in der Rechtssache 183/83,
Krupp Stahl/Kommission, Slg. 1985, 3609, Randnr. 37) dürfen bei der Festsetzung
einer Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der einen wenn
auch nur ungefähren und unvollkommenen Anhaltspunkt für dessen Größe und
Wirtschaftskraft darstellt, als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden,
der mit den Waren, die Gegenstand der Zuwiderhandlung sind, erzielt wurde und
deshalb einen Anhaltspunkt für den Umfang dieser Zuwiderhandlung darstellen
kann.
- 196.
- Wie sich aus Randnummer 361 des angefochtenen Urteils, in der auf die
Randnummern 108 f. der Polypropylen-Entscheidung verwiesen wird, ergibt,
wurden bei jedem Unternehmen seine jeweiligen Polypropylenlieferungen in die
Gemeinschaft sowie sein Umsatz berücksichtigt. Das Gericht hat somit insofern
keinen Rechtsirrtum begangen.
- 197.
- Im übrigen steht es dem Gerichtshof nicht zu, bei der Entscheidung über
Rechtsfragen in einem Rechtsmittelverfahren aus Billigkeitsgründen seine
Bewertung an die Stelle der Bewertung des Gerichts zu setzen, das in
Wahrnehmung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung über die Höhe
einer Geldbuße entscheidet, die gegen ein Unternehmen wegen der von ihm
begangenen Verletzung des Gemeinschaftsrechts festgesetzt worden ist (u. a. Urteil
vom 15. Dezember 1994 in der Rechtssache 320/92 P, Finsider/Kommission, Slg.
1994, I-5697, Randnr. 46).
- 198.
- Daher greifen die Rügen, die sich auf die Beurteilung der individuellen
Vorantwortlichkeit der an der Zuwiderhandlung Beteiligten und die Bemessung der
Geldbuße beziehen, ebenfalls nicht durch. Auch der dritte Teil des
Rechtsmittelgrundes der Verletzung des Gemeinschaftsrechts ist somit
zurückzuweisen.
- 199.
- Da keiner der vorgebrachten Rechtsmittelgründe durchgreift, ist das Rechtsmittel
insgesamt zurückzuweisen.
Kosten
- 200.
- Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der nach deren Artikel 118 auf das
Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur
Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem
Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen. Die Streithelferin hat
ihre eigenen Kosten zu tragen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsmittelführerin trägt die Kosten.
3. Die Streithelferin trägt ihre eigenen Kosten.
KapteynHirsch
Mancini
Murray Ragnemalm
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Juli 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
P. J. G. Kapteyn